Verheißungsvolle Küsse
Absicht, es so weit kommen zu lassen - aber das wusste er ja nicht.
Er musste etwas anderes gemeint haben; doch egal wie sie seine Worte drehte und wendete, egal, wie sie die Wirkung, die er auf sie hatte, und jedes daraus entstehende Missverständnis leugnete, konnte sie sich immer noch nicht die Intensität, die entflammt war - sowohl in seiner Stimme als auch in seinen Augen - erklären.
Zu ihrer Erleichterung befreite sein Termin in Twickenham sie für den Tag von ihm.
Es half nichts. Der Abend kam, sie war immer noch verwirrt und misstrauisch. Fühlte sich wie ein Reh, das der Jäger aufs Korn genommen hatte.
Der Streit zwischen Louis und Marjorie auf dem Weg zu Lady Hunterstons Ball war ein weiterer Störfaktor.
»Du misst ihm zu viel Bedeutung bei.« Louis lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und starrte Marjorie böse an. »Wenn du dich unnötig einmischst, wirst du ihre Chancen auf eine gute Partie mindern.«
Marjorie schniefte und sah betont desinteressiert aus dem Fenster.
Insgeheim seufzte Helena. Sie war sich nicht mehr sicher, ob Marjorie nicht Recht hatte, obwohl ihr die Logik das Gegenteil sagte. Logik konnte den Gefühlsaufruhr, den sie gestern Nacht verspürt hatte, allerdings nicht erklären.
Nach ihrem Eintritt in Lady Hunterstons Ballsaal behielt Marjorie Helena bei sich und durchschritt entschlossen den Raum. Sie fand Lord Were neben dem Kartensalon. Die Gruppe, die ihn umringte, teilte sich bereitwillig, um sie aufzunehmen.
Das augenblickliche Thema war das unmittelbar bevorstehende Ableben von Lord Weres Onkel, des Marquess of Catterly.
»Ich werde morgen nach Norden aufbrechen müssen«, berichtete soeben Were. »Der alte Halunke hat nach mir gefragt. Ist wohl das Wenigste, was ich für ihn tun kann.«
Er verzog das Gesicht, als er das sagte. Helena wertete das als einen Minuspunkt - dann wurde ihr klar, mit wem sie ihn verglich. Sie verdrängte diese Gegenüberstellung. Doch während sie sich unterhielten und das Thema auf Weihnachten schwenkte und die geplanten Festlichkeiten, stellte sie befriedigt fest, dass sie Weres Ansichten doch irgendwie verstehen konnte. Er war eine liebenswerte, wenn auch nicht gerade aufregende Seele von Mann, solide und geradezu verbissen bescheiden. Das, sagte sie sich, war eine willkommene Erholung von all den anderen, die sich ihres Wertes über die Maßen bewusst waren.
Sie sah Marjorie direkt an, schickte ihr eine unausgesprochene Frage. Marjorie lächelte bedeutungsvoll und neigte den Kopf; ja, sie billigte Lord Were.
In dem Moment betrat Sebastian Lady Hunterstons Ballsaal und sah als Erstes, wie Helena Were entzückt anlächelte. Er registrierte, blieb stehen, um sich elegant vor Ihrer Ladyschaft zu verbeugen; dann ignorierte er dieses eine Mal die lächelnden Gesichter, die sich ihm zuwandten, und peilte direkt die Gruppe vor dem Kartensalon an.
Er durchquerte die Menge, innerlich auf Helena konzentriert, und erwog seine Möglichkeiten. Beispielsweise könnte er ihr sagen, dass es sein Wunsch wäre, sie zu heiraten, sie bewusst blenden und auf seine Seite ziehen, aber …
Dieses Aber hatte erhebliches Gewicht. Nur der Hauch einer Andeutung gegenüber der Gesellschaft, dass er seine Meinung geändert hatte und sie zu seiner Duchess machen wollte, würde einen Eklat zur Folge haben - alle Augen, jedes einzelne, würden sich auf sie richten. Und die Gedanken hinter diesen Augen und das anschließende Geflüster wären nicht von Wohlwollen geprägt. Andere würden sich vielleicht blind stellen oder spekulieren, dass er wahrscheinlich zweifelhafte Absichten hegte. Solche Gerüchte wären nicht nach seinem Geschmack - und auch nicht nach ihrem - ganz zu schweigen von ihrem Vormund.
Er hatte einen Bericht seiner Pariser Agenten erhalten. Ihr Onkel mütterlicherseits, Geoffre Daurent war nach dem Tod ihres Vaters ihr Vormund geworden. Noch wusste Sebastian nichts von Fabiens eigenmächtiger Regelung. Seiner Meinung nach vertrat Thierry Daurent, aber ein offizieller Besuch in der Green Street kam nicht in Frage. Es war unmöglich, ein solches Treffen geheim zu halten, nicht mitten im Herzen der Gesellschaft.
Eine diskrete Einladung zu einem Besuch seines Hauptsitzes Somersham Place, wenn der Adel London in knapp zwei Wochen verließ, war sein bevorzugter Schachzug. Keiner, außer den Thierrys und Louis de Sèvres, musste davon erfahren; er selbst würde nur seine Tante Clara informieren, die für ihn die Gastgeberin im Heim seiner Ahnen
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