Verliebt, verlobt, verflucht
Herr Professor?«, fragte der Kobold mit öliger Stimme.
»Ja, bring mir das blaue, dicke Buch mit dem Titel Das Erbe Peretruas aus Regal XIV.«
Der Kobold fuhr erschrocken zusammen, sagte jedoch in katzbuckelnder Manier: »Gewiss doch, Herr Professor.« Er schlurfte mit wesentlich mehr Eifer als sonst in das Wirrwarr aus Regalen zurück und tauchte nach einigem Ächzen wieder mit dem Buch, das er auf seinem Buckel trug, auf.
»Das ist doch viel zu schwer für ihn«, rief Natalie, sprang auf und wuchtete das Buch auf den Schreibtisch. Prof. Marzin ignorierte ihre Bedenken, schlug das Buch auf und blätterte bis zu einer bestimmten Seite.
»Lies selbst«, befahl er Natalie, und zum Bücherschlund sagte er leise: »Sorg dafür, dass uns niemand stört.« Der Kobold nickte und schlurfte davon.
Natalie hatte noch nie so ein dickes Buch gesehen. Die Seiten schienen zu flüstern und von längst vergangenen Tagen zu erzählen. Die Seitenränder waren mit blauen Tulpen aufwändig verziert. Ein seltsames Gefühl der Aufregung breitete sich in Natalies Bauch aus. Sie hätte gerne noch in den Seiten geblättert, doch wagte sie es nicht einmal zu atmen. Das alte Pergamentpapier schien bloß vom Hinsehen auseinanderzufallen. In blauer Tinte waren alte, schnörkelige Buchstaben gemalt. Halblaut las Natalie den Text vor:
»Das Erbe Peretruas.
Die Stadt am Ufer des Caricmeeres gilt als Tor zur Welt. Seine stattlichen Mauern, die hohen Zitadellen und die prächtigen Schlösser werden ewig stehen, solange sich die Stadt mit List und Tücke gegen feindliche Übernahmen von hoher See wehrt.
In ihrem Rücken wird sie auf immer und ewig den Bedrohungen der beiden angrenzenden Nachbarstaaten, des Reiches der Schwarzen Schatten und des Reiches der Hochelben, ausgesetzt sein.
Zu Peretruas Schutz wurde die Gemeinschaft der Sefloradas ins Leben gerufen. Der Geheimbund wird fortan ohne das Wissen der gewöhnlichen Bevölkerung für den Schutz der Stadt sorgen, damit diese in Frieden leben kann.
Seine zwölf Gründermitglieder bestimmen einen König, der seine Macht seinen Kindern weitervererbt.
Weitere magische Wesen gehören zu den Behütern Peretruas:
Die Blauen Elfen mit ihrer Gabe, nicht nur geschriebene Worte zu tilgen, sondern auch Worte mit ihrem Blut aus Tinte zu erschaffen.
Kobolde als Hüter der Bücher können als Einzige alle zwölf Exemplare des Gründerbuches aus ihren jeweiligen Aufbewahrungsorten nehmen, und nur der Schlüsselverwahrer kennt alle Aufenthaltsorte der Bücher oder kann diese erfühlen.
Jedes Gründungsmitglied erhält eine Ausgabe dieses Buches, das es zur sorgfältigen Aufbewahrung an seine Nachkommen weitervererbt.
Doch Mitglieder des Geheimbundes, seid gewarnt! Nach dem tausendjährigen Bestehen Peretruas wird der magische Schutz ein Jahr lang anfällig für schwarzmagische und elbische Kräfte sein, wie es das uralte, magische Gesetz bei solch großen magischen Bannen vorsieht. Die Stadt wird in besagtem Jahr die Mauern verbessern müssen, um vor weiteren Intrigen der Schwarzen Schatten und Hochelben sicher zu sein.
Nach Ablauf des tausendundersten Jahres wird sein magischer Schutz wieder fortbestehen.
Doch in diesem einen Jahr wird Peretrua auf die Probe gestellt werden!
Erste Prophezeiung: Die Macht der Stadt kann gebrochen werden, wenn der letzte Erbe des Königs des Geheimbundes einen Pakt mit den Erben der Schwarzen Schatten oder der Hochelben eingeht. Der Pakt kann durch ein Abkommen, Bündnis oder dergleichen bestehen.
Doch vor allem vor der zweiten Prophezeiung muss gewarnt werden:«
Hier endete der Text, die Hälfte der Seite fehlte.
Zuerst wusste Natalie gar nicht, was sie sagen sollte. Nach einigen schweigsamen Momenten sagte sie langsam: »Es gibt sie also doch, die Schwarzen Schatten.«
Der Geschichtslehrer lächelte amüsiert. »Wie immer brauchst du eine ganze Weile, bis du zum Kern gelangst.« Er hüstelte, wie um einen Lachanfall zu ersticken. »Nun ja. Nur wenige wissen von dem Geheimbund, genauer gesagt nur die Abkömmlinge der Mitglieder. Der Text endet hier, aus allen zwölf Gründerbüchern Peretruas wurde der Abschnitt herausgerissen.«
»Warum erzählen Sie mir das alles?«, wollte Natalie wissen.
Professor Marzin lächelte geheimnisvoll und nahm eine goldene Sanduhr aus der Hemdtasche, legte sie auf den Tisch und brach sie einfach in der Mitte entzwei. Zum Vorschein kam eine kleine Papierrolle, auf der winzige blaue Punkte zu erkennen waren, die für Natalie wie
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