Verlockende Versuchung
erinnerst«, warf Sebastian ein.
»Außerdem wärst du ohne mich viel zu einsam in diesem riesigen Haus. «
»Julianna mag zurzeit auf Reisen sein, doch sie hat ihren Wohnsitz immer noch hier«, erinnerte der Marquess seinen Bruder. »Und ich muss sagen, ich wünschte, unsere liebe Schwester wäre hier, um diesen anmaßenden Starrkopf zu pflegen! «
»Wie du bereits sagtest, befindet die Patientin sich auf dem Weg der Besserung. «
»Doch es wird noch einige Zeit dauern, bis sie völlig wiederhergestellt ist. Sie könnte etwas Fleisch auf den Rippen gebrauchen, falls dir das entgangen sein sollte.«
»Nein. Aber bei der schlechten Meinung, die du über sie hast, bin ich überrascht, dass du es bemerkt hast«, neckte Justin seinen Bruder.
Tief in Sebastians Herz stiegen Schuldgefühle auf, die er aber rasch wieder verdrängte. »Ich bin kein gefühlloser Kerl, Justin.« Dessen Gesichtsausdruck schien jedoch das Gegenteil zu behaupten. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass es eine Frau in London gibt, die dich einen gefühllosen Kerl nennen würde«, fügte Justin hinzu.
»Oh, ich hingegen kenne mehrere. « Justins Augen begannen zu leuchten, doch dann hielt er kurz inne, und das Lachen verschwand aus seinem Gesicht. »Sebastian, sie hatte fürchterliche Angst und versuchte verzweifelt, nicht zu weinen. «
Ein Bild drängte sich dem Marquess auf- tränenverschleierte Augen, die wie Bernstein glänzten. Gott allein wusste, dass er mit weinenden Frauen nicht umgehen konnte. Tränen rissen sein Herz in Stücke und brannten bis tief in seine Seele, was Julianna bestätigen konnte. Ein starr auf den Boden gerichteter Blick, eine zitternde Lippe, ein ersticktes Schluchzen ... und er war verloren. Nicht, dass Julianna der schwache, weinerliche Typ Frau gewesen wäre. Sobald sie oder eine andere Frau allerdings zu weinen anfingen, konnte er es nicht ertragen, sondern musste alles in seiner Macht stehende tun, um ihre Tränen zu trocknen.
Nach den Vorwürfen seines Bruders fühlte er sich noch schuldiger. Guter Gott, sogar Justin, der unempfindlich für die Tränen einer Frau war und mehr Herzen gebrochen hatte als alle Londoner Lebemänner zusammen, war gerührt!
Zum Teufel. Vielleicht war er ein gefühlloser Kerl, doch das j unge Ding befand sich in höchster Bedrängnis.
»Wir sollten einige Nachforschungen bezüglich ihrer Behauptungen anstellen«, erklärte er ruhig, »vor allem, was diesen Schuft Harry betrifft. «
Justin nickte. »Das werde ich erledigen.« Er drehte sich in Richtung Treppe.
»Oh, und Justin?«
Sein Bruder blickte über die Schulter zurück.
»Wir müssen vorsichtig sein, damit niemand erfährt, dass die Ermittlungen von uns ausgehen.«
Justin legte den Kopf schief. »Wie bitte?«, sagte er langsam. »Bin ich nicht der Mann der größtmöglichen Verschwiegenheit? «
Sebastian musste keinen Augenblick über die Antwort nachdenken. »Ganz so würde ich es zwar nicht ausdrücken ... «
»Ah.« Das Lächeln seines Bruders war frech und verwegen ... einfach Justin. »Du beliebst zu scherzen, nicht wahr?«
»Ich denke, du weißt genau, was ich meine.«
Justins Gesichtsausdruck verdüsterte sich. »Ich bin und bleibe davon überzeugt, dass du dich auf mich verlassen kannst. «
Ihre Blicke trafen sich. Ein leises Lächeln umspielte Sebastians Mund. »Ich weiß«, murmelte er.
Sechstes Kapitel
Im Schlafzimmer sank Devon schluchzend in die Kissen zurück. Sie war wütend und fühlte sich gleichzeitig so kläglich wie noch nie zuvor in ihrem Leben.
Ein kalter Schmerz machte sich in ihrem Herzen breit. Ihre Mutter wäre entsetzt darüber gewesen, dass Devon überhaupt einen Dolch besaß. Einst hatte sie ihrer Mama versprochen, niemals zu stehlen, zu betteln oder ihren Körper zu verkaufen.
Stattdessen hatte sie einen Mann getötet!
Schuldgefühle stiegen in ihr empor. Vor allen Dingen hatte sie aus St. Giles zu entfliehen versucht! Ach, doch zu welchem Preis?
Sebastian Sterling war überzeugt, dass sie eine Diebin war. Eine Diebin!
Niemals wäre Devon auch nur auf den Gedanken gekommen zu stehlen. Nie!
Zumindest nie wieder.
Denn sie hatte einmal in ihrem Leben gestohlen: süßes Gebäck aus einer Konditorei. Es hatte so verlockend ausgesehen, angerichtet auf einer hübschen, weißen, mit blauen und gelben Blumen verzierten Servierplatte. Der Ladenbesitzer hatte ihr den Rücken zugekehrt, und Devon wusste, dass er sie nicht sehen konnte. Ohne weiter nachzudenken griff sie zu und
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