Verloren: House of Night 10 (German Edition)
Taten zu verbergen. Ihre Verbrechen sind schon ans Licht gekommen – dafür hat Thanatos gesorgt. Was begehrt Neferet also mehr, als zu vernichten und Schmerz zuzufügen?
Die Antwort war erschreckend klar.
Sie will Chaos säen, und ein sehr einfacher Weg, dies zu erreichen, besteht darin, Zoey Redbird Schmerz zuzufügen. Kaum hatte sich der Gedanke geformt, da wusste Aurox auch schon, dass er zutraf.
Es gab vielleicht keinen anderen Sterblichen, der Grandma glich. Sie hatte die Gabe zu führen – sie wurde von vielen geliebt. Und sie besaß Macht. Große Macht.
Sylvia Redbird wäre ein viel vollkommeneres Opfer als ihre Tochter.
»Nein!« Aurox weigerte sich, den Gedanken weiterzudenken. Eine zweite Tatsache aber war, dass Neferet genau wusste: Wenn sie Zoeys geliebte Großmutter entführte, würde Zoey sich mit all ihrer beeindruckenden Macht daranmachen, diese zu retten. Und dadurch würde die Vampyrgesellschaft in Tulsa ins Wanken geraten und das Chaos ausbrechen.
»Ob als Opfer oder als Geisel, wenn Neferet Grandma Redbird hat und Zoey diese zu retten versucht, erreicht Neferet genau das, was sie am meisten will – Chaos und Rache. Nun – dann muss wohl jemand anders Grandma retten.«
Die Entscheidung fiel Aurox leicht, auch wenn ihm bewusst war, dass das gut und gern sein Ende bedeuten konnte. Die Fahrt zurück nach Tulsa schien diesmal enorm lange zu dauern. So lange, dass Aurox weiter nachdenken konnte. Er dachte an Neferet und ihre verächtliche Gleichgültigkeit allem Leben gegenüber. Er dachte an Dragon Lankford, daran, wie dieser gegen die Einsamkeit und Verzweiflung angekämpft hatte, die sein Leben zu verschlingen drohten – und wie er gesiegt hatte. Aurox dachte daran, welchen Mut diejenigen bewiesen, die sich jenem Feind aus reinster Finsternis entgegenstellten, der so schauerlich schien, dass allein bei der Erinnerung an ihn alles in ihm erzitterte. Und Aurox dachte an Zoey Redbird.
Erst lange nach Sonnenuntergang war Aurox zurück in Tulsa. Er lenkte das Auto nicht auf den versteckten Parkplatz hinter dem Utica Square. Im Gegenteil – er fuhr auf der Einundzwanzigsten Straße ostwärts an dem nun am Abend verlassenen Einkaufszentrum vorbei. Dann bog er nach links in die Utica Street ab und einen Block weiter noch einmal nach links. Durch die offizielle Einfahrt rollte er auf den Parkplatz des House of Night und parkte das Auto nicht weit von dem leeren gelben Kleinbus entfernt.
Er holte tief Luft. Ruhig bleiben. Die Bestie unterdrücken. Ich kann das. Ich muss das tun. Dann stieg er aus.
Soviel Aurox auf dem Weg hierher nachgedacht hatte, er hatte sich noch nicht genau überlegt, was er tun würde, sobald er das House of Night erreichte. Daher ließ er sich ganz von seinem Instinkt leiten und machte sich auf den Weg über den Campus.
Offenbar war gerade Mittagszeit. Von den Düften, die aus der Mensa zu ihm hintrieben, lief ihm das Wasser im Mund zusammen, und ihm wurde bewusst, dass er seit einem ganzen Tag nichts gegessen hatte. Automatisch schlugen seine Füße den Weg zum Herzen des Campus ein – immer dem Essensduft nach.
Gerade als er den Fußweg erreicht hatte, der zum Speisesaal führte, öffnete sich die breite hölzerne Tür, und eine Gruppe Jungvampyre kam heraus, die sich mit vertrauten Stimmen unterhielten und miteinander lachten.
Zoey entdeckte ihn vor allen anderen. Er sah es daran, wie überrascht sie ihn anschaute. Sie fing an, den Kopf zu schütteln, und schien ihm etwas zurufen wollen, da traf ihn Starks Stimme wie der Aufprall eines Pfeils.
»Zoey, rein mit dir! Darius, Rephaim, zu mir. Den schnappen wir uns!«
Sechzehn
Zoey
»Ich muss mit Zoey sprechen!«, schrie Aurox, eine Sekunde bevor Stark ihm einen Kinnhaken versetzte und er zu sehr damit beschäftigt war, Blut auszuspucken und in die Knie zu brechen, um noch irgendwas anderes zu schreien.
Ich packte meinen Krieger am Arm. »Stark! Himmel nochmal, hör auf!«
»Rein mit dir, hab ich gesagt!«, brüllte Stark und schüttelte mich ab wie eine Ameise. Er und Darius stießen Aurox von dem Fußweg und zerrten ihn ins wartende Eichendickicht, wo die Schatten am tiefsten waren. Die machen ihn fertig!
Ich rannte hinter ihnen her. Die gedämpften Schmerzenslaute, die Aurox von sich gab, während sie ihn übers Gras schleiften, waren kaum zu ertragen. »Er schlägt nicht zurück, Stark. Er tut niemandem was.« Aber Stark hörte überhaupt nicht zu. Und Darius widmete mir nicht mal einen Blick.
Da
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