Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
Atemzug an Antonia und diese mitleiderregende Kreatur denken? Sie hatten absolut nichts gemein. Aber die Augen, bei Gott, die Augen.
Gareth schüttelte die Erinnerungen ab und trieb sein Pferd mit den Sporen an, schneller zu laufen. Er brauchte Ruhe, um über all das nachzudenken, was er von Osborne erfahren hatte. Und er brauchte einen Rat. Zu stark wurde er von Begehren und Zorn beeinflusst, um noch klar denken zu können. Er musste lernen, Selsdon zu leiten und die Angestellten des Anwesens zu führen – und es waren weitaus mehr als bei Neville’s. Er hatte mit seinen Pächtern zu sprechen, sich dem örtlichen Adel vorzustellen und einen anständigen Kammerdiener zu engagieren. Hinzu kam, dass er alles über Ackerbau, Fruchtfolge und Bewässerung lernen musste. Um Himmels willen, es gab mehr als genug zu tun, und doch wandten sich seine Gedanken immer wieder der Vergangenheit und Antonia zu. Hielten die Leute sie wirklich für eine Mörderin? Und warum hatte er die übergroße Hoffnung, dass sie keine war?
Er kannte sie noch nicht einmal. Genau genommen wusste er über niemanden auf Selsdon auch nur irgendetwas. Fast jeder im Haus hätte seinem Cousin den Tod wünschen können. Er selbst hatte es schließlich oft genug getan.
Und was war die Wahrheit über Antonia? Was quälte sie bis auf den heutigen Tag so sehr? Plötzlich dämmerte es Gareth, dass es Xanthia war, die er jetzt brauchte. Xanthia würde wissen, wie man der Wahrheit am besten auf die Spur kam. Sie könnte ihm einen Rat geben, ihm helfen, wieder Klarheit zu gewinnen. Bei dem Gedanken an die Unmöglichkeit dieses Szenarios brach er unvermittelt in lautes Gelächter aus. Er wünschte, dass seine verflossene Geliebte ihm einen Rat bezüglich einer neuen gab?
Nein. Nein, Antonia war eine Pflicht. Eine Schuldigkeit, ja, aber sie war nicht seine Geliebte. Er durfte nicht mehr auf diese Weise an sie denken. Darüber hinaus befand sich Xanthia auf Nashs Jacht und war mit ihm auf dem Weg in die Ägäis. Sie würde Wochen fort sein – und sie war die Ehefrau eines anderen. Womit nur noch Rothewell als Ratgeber übrig blieb.
Gareth rieb sich nachdenklich das Kinn und erwog die Möglichkeit. Wie groß war das Maß seiner Verzweiflung?
Verdammt groß – eigentlich hatte er keine Ahnung, warum. Ich brauche einen Freund, dachte er. Einen Ratgeber. Er gab seinem Pferd wieder die Sporen, und dieses Mal hielt er das Tempo, bis er Selsdon Court erblickte. Als er abgesessen war, begab er sich direkt in sein Arbeitszimmer und nahm einen Bogen von Warnehams edlem und schwerem Briefpapier aus der Schreibtischschublade.
Am Sonnabend begann Antonia sich etwas zu entspannen. Nichts deutete darauf hin, dass sie und Nellie das Anwesen verlassen müssten, und das Leben auf Selsdon mit dem neuen Duke war in diesen wenigen Tagen zu einer Art Routine geworden. Wie auch bisher auf Selsdon üblich, nahmen sie an diesem Abend das Essen im kleinen Speisezimmer ein – ein Zimmer für acht Personen – und nicht im großen prunkvollen Esszimmer, das gut und gern vierzig Gästen Platz bot. Antonia warf einen Blick hinein, als sie auf ihrem Weg zum Abendessen daran vorbeikam. Der prächtige Raum war während ihrer kurzen Zeit als Herzogin nie benutzt worden. Geistesabwesend fragte sie sich, ob der neue Duke vorhatte, je Gäste einzuladen. Wahrscheinlich nicht. Er schien ein Einzelgänger zu sein.
An der Tür zum kleinen Speisezimmer verharrte Antonia einen Moment, um ihre Nerven unter Kontrolle zu bringen und den Schal zu richten, der sich ein wenig verdreht hatte. Dann zwang sie sich, das Kinn zu heben und die Schultern zu straffen, und trat ein. In den wenigen vergangenen Tagen hatte sie sich fast an dieses Gefühl gewöhnt, dass ihr der Atem stockte und sich ihr Magen zusammenzog, wenn sie ein Zimmer betrat, in dem er auf sie wartete.
Heute Abend war der Duke schlicht, aber elegant in Schwarz und Weiß gekleidet. Antonia war aufgefallen, dass er nicht viele offizielle Kleidungsstücke zu besitzen schien, aber die, die er hatte, waren von hervorragendem Schnitt und bester Qualität. Wie so oft war auch heute sein Haar noch feucht, was dessen warmen Goldton Honigbraun erscheinen ließ. Sein schmales, gebräuntes Gesicht war frisch rasiert, die harten Konturen seines Kinns stachen hervor.
»Guten Abend, Euer Gnaden«, sagte sie förmlich.
Er war sofort aufgestanden. »Guten Abend, Ma’am.«
Auf diese Weise hatten sie sich bereits an den vergangenen drei Abenden
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