Verlorene Eier
Unterlippe und nickt.
»Wissen Sie, Schätzchen, Sie müssen nicht …«
»Ich würde aber gern.«
»Natürlich.«
Amber starrt den Buddha an. Ich ertappe mich dabei, wie ich die zarte blaue Vene über ihrem linken Augenlid betrachte.
»Na ja, da war dieser Mann. Sie wussten, dass ich das gleich sagen würde, stimmt’s?«
»Nein, gar nicht.« Sie hätte ebenso gut mit den Worten Na ja, da war dieser indische Mungo anfangen können.
»Dieser Mann …« Weiteres ausgiebiges Lippenkauen und Seufzen, und ich weiß schon jetzt, dass ich den Kerl aus tiefster Seele hasse.
»Wie hieß er denn, Liebes?«, frage ich, um die Story ein wenig in Gang zu bringen.
»Philly. Er war Künstler. An manchen Tagen war es wunderschön mit ihm. An anderen …«
Ich schüttle betrübt den Kopf. Sag es nicht – er war der ultimative Drecksack.
»Glauben Sie an die Liebe auf den ersten Blick, Angela?«
»Natürlich, meine Liebe.« Schließlich lebe ich recht gut davon.
»Als wir, Philly und ich, uns das erste Mal gesehen haben, war da sofort dieses Gefühl, als würde uns ein Stromschlag durchzucken. Genauso wie bei Marcus Trevallier und Cassandra Lisle in Schicksalstage .«
Mir wird leicht übel. Wenn ich mich recht entsinne, habe ich geschrieben, dass die Luft vor Spannung zu knistern schien, als sich die Protagonisten begegneten. »Wie bei einem von Mr Faradays jüngsten Experimenten«, schrieb ich damals, um aus Gründen der Authentizität eine historische Querverbindung zu schaffen.
»Wo haben Sie sich kennengelernt?«, erkundige ich mich kleinlaut.
»In einer Bar. Einem Diner. Er fragte, ob er ein Portrait von mir malen darf.«
Puh . »Wie schmeichelhaft.«
»Welchem Mädchen hätte das nicht gefallen? Er war gut. Er hatte diese Intensität an sich. Sie war immer da, bei allem, was er getan hat. Er gab einem das Gefühl, dass er einen will. Mit jeder Faser seines Herzens. Kennen Sie dieses Gefühl, Angela?«
Ich setze eine Miene auf, die sagen soll, dass ich schon einmal in den Genuss dieses Gefühls gekommen bin, ein einziges Mal vielleicht.
»Wie alt war er?« Die Frage ist mir einfach herausgerutscht.
»Er wäre jetzt Mitte vierzig.«
Enttäuschung macht sich breit. Dann dämmert mir, was sie gerade gesagt hat. »Wäre jetzt …?«
Eine dicke Träne perlt aus ihrem Augenwinkel und bleibt einen Moment lang dort hängen, ehe sie sich ihren Weg über ihre sahnige Wange bahnt.
»Sie haben etwas gefunden. In seinem Gehirn. Wie eine Blase.«
»Ein Aneurysma«, flüstere ich. Sie nickt.
Es ist regelrecht unheimlich. Im Lauf der Jahre sind sage und schreibe drei meiner Nebencharaktere an der Ruptur eines unentdeckten Aneurysmas gestorben. Für einen Autor kann ein Aortenriss oder ein geplatztes Blutgefäß im Gehirn eine Menge Probleme lösen, wenn die Handlung einen unerwarteten Todesfall erforderlich macht. Beispielsweise hatte Edgar Wellington Dupree genau diesem Umstand seine Ernennung zum neuen Herrn von Hardings Hall zu verdanken, nachdem sein Vater am Bridgetisch verstorben war. (Er hatte gerade einen Sans Atout im Kontra und Rekontra erfüllt.)
Amber hat meine Hand genommen und drückt ziemlich fest zu. Was sich keineswegs unangenehm anfühlt. »Oh, Angela. Er meinte, es sei nur ein Routineeingriff. Aber es war viel ernster. Am Anfang war gar nichts. Sie haben alles … Er ist gestorben … ohne noch einmal das Be…« Ihre Stimme verklingt.
»Es tut mir so leid, Amber.«
Sie richtet ihre riesigen Orangenmarmeladenaugen auf mich. Die Qual, die darin steht, tut mir in der Seele weh. »Am Morgen des Tages, als er ins Krankenhaus musste, haben wir …« Sie seufzt. »Wir …« Sie schluckt. »Es war das Letzte, was wir …« Sie schüttelt den Kopf. »Neun Monate später …«
»Arthur«, stoße ich hervor.
7
Die Geschichte könnte aus der Feder von Angela Huxtable stammen. Und einen erbärmlichen Moment lang – Graham Greene hat dies einmal als Eiszapfen im Herzen des Schriftstellers bezeichnet – schießt mir durch den Kopf: Das könnte ich verwenden.
Amber sitzt mit gesenktem Kopf da. »Meine Güte, armes Kind«, murmle ich.
Und dann – weil mir der Moment gerade passend erscheint – erzähle ich ihr mit leiser Stimme meine eigene Geschichte. Von diesem ganz besonderen Menschen in meinem Leben. Wie sehr ich mich zu ihm hingezogen gefühlt hatte, damals, vor all den Jahren. Und dass es eine Zeitlang so ausgesehen hatte, als beruhe es auf Gegenseitigkeit. Ich schildere, wie wir
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