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Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Titel: Vermächtnis des Schweigens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Gudenkauf
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verbringen.“
    „Mit dir macht es aber viel mehr Spaß“, versichert Charm ihm. „Und außerdem bist du netter.“
    „Vielleicht.“ Er drückt ein Taschentuch an seine Lippen und hustet. „Aber ich werde nicht für immer da sein.“
    „Gus“, warnt Charm ihn.
    Aber er lächelt nur und tätschelt ihr den Kopf. „Geh und triff dich mit deiner Mutter“, fordert er sie auf, und Charm fühlt sich, als wäre sie wieder zehn Jahre alt.

CLAIRE
    Nach dem Gespräch mit Allison vergeht Claires Tag wie im Schneckentempo, und jedes Mal, wenn die Türglocke klingelt, setzt ihr Herz einen Schlag aus. Trotz des Alarmsystems und der zusätzlichen Aushilfe fragt sie sich, ob sie sich in ihrem Laden jemals wieder sicher fühlen wird. Alle paar Minuten schaut sie auf die Uhr, beobachtet die Tür, um nicht zu verpassen, wenn Jonathan und Joshua kommen. Sie wünscht sich, sie hätte Virginia gebeten, heute zu arbeiten, damit sie mit Jonathan hätte gehen können, um Joshua von der Schule abzuholen.
    Endlich ist es halb vier, und Jonathan und Joshua stürmen durch die Ladentür. Jonathan grinst, Joshua sieht erschöpft aus. Sein dünnes Haar ist ganz zerzaust, sein Hemd hängt aus der Hose, auf seinen Shorts ist ein Fleck, und seine Schuhbänder sind offen.
    „Hey, Vorschüler“, begrüßt Claire ihn. „Wir war dein erster Tag?“
    „Josh hatte einen fabelhaften ersten Tag“, ruft Jonathan, und Claire fühlt sich sehr erleichtert.
    „Natürlich hattest du das.“ Sie zieht Joshua in die Arme.
    „Hatte ich“, bestätigt Joshua und lächelt zaghaft. „Ich durfte mit den Steinen spielen und konnte in beiden Pausen schaukeln.“
    „Jackpot!“ Claires Stimme spiegelt seinen Enthusiasmus. „Hast du herausgefunden, was für einen Ausflug ihr nächstes Frühjahr macht?“
    „In den Zoo!“, ruft er. „Wir gehen in den Zoo und sehen Elefanten und Affen!“ Joshua beugt sich vor, winkelt die Arme ab und verzieht sein Gesicht zu seiner besten Affenimitation. Dazu stößt er kreischende Geräusche aus und hüpft durch den Laden. Jonathan und Claire schauen einander an und lachen. Nachdem Joshua eine Runde durch den Laden gedreht hat, kommt er zu ihnen an den Kassentresen zurück und sagt mit einer Stimme, als würde er ein tiefes, dunkles Geheimnis verraten: „Es gab da aber Bananen.“
    „Darüber haben wir doch gesprochen, Josh“, sagt Jonathan zu ihm. „Wir haben dir erklärt, dass es in der Schule Sachen geben wird, die du nicht magst. Erinnerst du dich, was wir gesagt haben, was du dann tun sollst?“
    „‚Nein, danke‘ sagen“, antwortet Joshua traurig. „Aber es hat nicht gewirkt. Das Ausgabekind hat mir trotzdem eine gegeben. Ich habe mir nicht die Nase zugehalten und musste mich beinahe übergeben“, gibt er zu. „Aber ich hab’s nicht – ich hab alles wieder runtergeschluckt.“
    „Das hast du gut gemacht“, lobt Claire ihn. Sie hält die Hand mit der Handfläche nach unten auf Joshuas Höhe, und er tritt direkt unter ihre gespreizten Finger. Sie rubbelt seinen Kopf, sein Haar fühlt sich unter ihren Händen wie Seide an. Dabei spürt sie jede Vertiefung und Beule auf seinem Kopf, hat sie auswendig gelernt wie eine Landkarte. Diese Stelle hier, direkt über seinem linken Ohr, so stellt sie sich vor, ist der Ort, wo er seine Liebe zur Musik aufbewahrt. Er ist sehr eigen mit seiner Musik, so wie mit den meisten Dingen. Nichts Lautes und Pulsierendes – das regt ihn auf, bringt ihn dazu, sich die Ohren zuzuhalten und sich entweder in ein anderes Zimmer oder in sich selbst zurückzuziehen. Er mag sanfte, beruhigende Musik.
    Sie spürt die Krone seines Kopfes, genau da, wo ein Wirbel sein blondes Haar trotzig hochstehen lässt. Hier entstehen die Gedanken für seine Bauten. Er kann Stunden damit zubringen, große, jeglicher Schwerkraft trotzende Strukturen aus Lego oder Lincoln Logs zu bauen. Überall in seinem Zimmer liegen die genoppten Steine herum, und ab und zu finden sie die bunten Plastikteile in Trumans Hinterlassenschaften im Garten.
    Behutsam lässt sie die Fingerspitzen hinter sein rechtes Ohr wandern. Hier sammelt er alle seine Erinnerungen an die Zeit, bevor er zu ihnen kam. Bevor er ihr Sohn wurde. Hier, denkt sie, könnte er seine Trauer und Angst verstecken, die sich in seiner Schüchternheit offenbaren und der Grund für seine Ängste und Phobien sind. Claire massiert Joshua den Kopf, will die bösen Gedanken und Erinnerungen verscheuchen, bis ihr Sohn sich ihrzappelnd entwindet und sagt:

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