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Veronica beschließt zu sterben

Veronica beschließt zu sterben

Titel: Veronica beschließt zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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würde, doch das
traf nicht ein.
    Jüngste Untersuchungen hatten jedoch ergeben, daß
Kriege wohl geistige Schäden hervorriefen, doch weniger als
Stress, Langeweile, Erbkrankheiten, Einsamkeit oder Liebeskummer. Wenn eine Gemeinschaft vor einem großen
Problem stand, beispielsweise einem Krieg, einer Hyperinflation oder einer Seuche, stieg die Anzahl der Selbstmorde leicht an, während Depressionen, Paranoia und
Psychosen deutlich abnahmen. Sobald das Problem überwunden war, normalisierte sich alles wieder, Dr. Igor zufolge ein deutliches Zeichen dafür, daß Verrücktheit ein
Luxus war, den man sich nur unter bestimmten Voraussetzungen leisten konnte.
    Er hatte eine andere kürzlich veröffentliche Untersuchung
vor Augen. Sie stammte aus Kanada, das eine amerikanische Zeitung als das Land mit dem höchsten Lebensstandard bezeichnet hatte. Dr. Igor las darin:
    Dem statistischen Amt Kanadas zufolge waren psychiatrisch behandelt worden:
40 % der Menschen zwischen 15 und 34 Jahren 33 % der
Menschen zwischen 35 und 54 Jahren 20 % der Menschen
zwischen 55 und 65 Jahren. Jeder fünfte Kanadier litt an
irgendeiner psychischen Störung.
Jeder achte Kanadier war mindestens einmal in seinem
Leben wegen Geistesstörungen in einem Krankenhaus.
    >Ausgezeichneter Markt, besser als unserer<, dachte er. >Je
glücklicher die Menschen sein können, desto unglücklicher
werden sie.<
    Dr. Igor prüfte noch einige Fälle, wobei er sorgfältig überlegte, welche er dem Ärzterat vorlegen und über welche er
allein entscheiden wollte. Unterdessen war es ganz Tag geworden, und er löschte das Licht.
Dann ließ er den ersten Besucher eintreten: die Mutter
jener Patientin, die einen Selbstmordversuch gemacht hatte.
     
»Ich bin Veronikas Mutter. Wie geht es ihr?«
    Dr. Igor überlegte, ob er ihr die Wahrheit sagen und ihr
unnötige Überraschungen ersparen sollte - schließlich hieß
seine Tochter auch Veronika -, zog es dann aber vor zu
schweigen.
»Wir wissen es noch nicht«, log er. »Wir brauchen noch
eine Woche.«
    »Ich weiß nicht, warum Veronika das getan hat«, sagte
die Frau, die weinend vor ihm saß. »Wir sind liebevolle Eltern, wir haben kein Opfer gescheut, um ihr die bestmögliche Ausbildung zu geben. Obgleich mein Mann und ich
bessere und schlechtere Zeiten miteinander hatten, blieben
wir zusammen, um mit gutem Beispiel voranzugehen und
ihr zu zeigen, daß man um jeden Preis durchhalten muß -«
    »Und trotzdem hat sie versucht, sich das Leben zu nehmen«, unterbrach sie Dr. Igor. »Das mag Sie überraschen,
gnädige Frau, doch genauso ist es. Die Menschen sind außerstande, das Glück zu begreifen. Wenn Sie wollen, kann
ich Ihnen die Statistiken für Kanada zeigen.«
»Kanada?«
    Die Frau schaute ihn überrascht an. Dr. Igor merkte, daß
er sie abgelenkt hatte, und fuhr fort:
»Schauen Sie, Sie kommen nicht hierher, um zu erfahren,
wie es Ihrer Tochter geht, sondern um sich dafür zu entschuldigen, daß sie einen Selbstmordversuch unternommen
hat. Wie alt ist sie?«
»Vierundzwanzig.«
»Oder anders gesagt, sie ist eine reife Frau mit Erfahrung,
die gut weiß, was sie will, und in der Lage ist, ihre eigenen
Entscheidungen zu treffen. Was hat das mit Ihrer Ehe oder
mit den Opfern zu tun, die Sie und Ihr Mann gebracht haben?
Wie lange lebt sie schon allein?«
»Seit sechs Jahren.«
»Sehen Sie? Unabhängig bis an die Wurzel der Seele.
Dennoch machen sich alle wegen allem Vorwürfe, weil ein
österreichischer Arzt, Dr. Sigmund Freud - ich bin sicher,
Sie haben schon einmal von ihm gehört -, über krankhafte
Beziehungen zwischen Eltern und Kindern geschrieben hat.
Glauben die Indianer, ein Kind, das zum Mörder geworden
ist, sei ein Opfer der elterlichen Erziehung? Antworten Sie!«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, entgegnete die
Frau, die sich immer mehr über den Arzt wunderte. Vielleicht war er ja von seinen Patienten angesteckt worden.
»Nun, ich werde Ihnen die Antwort geben«, sagte Dr.
Igor. »Die Indios glauben, daß der Mörder schuldig ist, nicht
die Gesellschaft, nicht seine Eltern, auch nicht seine
Vorfahren. Begehen die Japaner Selbstmord, weil eines ihrer
Kinder Drogen nimmt, auf die Straße geht und herumballert? Die Antwort ist dieselbe: nein. Und sehen Sie, soweit
ich weiß, begehen Japaner für nichts und wieder nichts
Selbstmord. Neulich habe ich von einem jungen Japaner gelesen, der sich umgebracht hat, weil er die Aufnahmeprüfung für die Universität nicht

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