Verplant verliebt
Fotografen an, der zu ihr nach Hause kommt, oder?“
Marie nickte und rieb sich die Augen. Sie saßen hier nun schon die halbe Nacht zusammen und auch Karlo merkte, wie sich seine Konzentration dem Ende zuneigte. Er hörte das leise Surren des Kühlschranks, das sonst vom Trubel in der Kaffeeküche verschluckt wurde. Jetzt waren sie die Einzigen im Gebäude und draußen war es längst dunkel geworden. Während Marie die Fotografenidee in den Computer tippte, beobachtete Karlo sie. Ihre grünen Augen waren im Laufe des Abends immer kleiner geworden. Ein paar Strähnen ihrer roten Locken hatten sich aus ihrem Knoten gelöst und tanzten um ihre Nase. Als hätte Marie seinen Blick gespürt, strich sie sich die Strähnen hinters Ohr, ohne ihren Blick vom Laptop abzuwenden.
Marie hatte ihn beeindruckt. Ihm war der Abend wie eine lockere Plauderei über die High Society vorgekommen. Sie hatten eine Fantasiediskussion darüber geführt, wie sich ihre Zielgruppe wohl in den derzeit verfügbaren Online-Portalen anstellen würde. Marie hatte die Plaudereien im Handumdrehen strukturiert und in ein vorläufiges Konzept gegossen, das fast schon präsentationstauglich war. Ganz nebenbei. Karlo war das eine oder andere Mal fast der Illusion erlegen, mit einer schönen Frau und leckerem Essen auf dem Sofa zu sitzen und sich nett zu unterhalten, statt tatsächlich zu arbeiten. Er wusste schon nicht mehr, warum es zuvor so kompliziert gewesen war. Diese Marie hier hatte rein gar nichts mit der Frau zu tun, die ihm in den vergangenen Tagen das Leben schwer gemacht hatte. Wie sie sich erschöpft in ihren Sessel kauerte, erinnerte sie ihn vielmehr an die Meerjungfrau, die Männer mit ihrem keck-schüchternen Blick in den Bann zu schlagen vermochte.
Marie tippte etwas lauter, als ginge sie zum Endspurt über, und tatsächlich sah sie ein paar Sekunden später zufrieden auf und öffnete den Mund. Doch als sich ihre Blicke trafen, hielt sie inne und ihre Augen blieben aneinander hängen. Wieder dachte Karlo an Arielle, doch das gehörte nicht hierher. Er räusperte sich und Marie wandte ihren Blick verlegen ab. Sie schob ihren Laptop zu ihm hinüber, ohne weiteren Blickkontakt zu riskieren. Er las ihr gemeinsames Werk noch einmal durch und hatte nichts auszusetzen. Marie hatte es auf den Punkt gebracht.
Sie traten gemeinsam nach draußen und die kühle Nachtluft umfing sie. Marie fröstelte und zog die geliehene Jacke fester um sich. Sie sah Karlo an und fragte sich, wo ihre Wut geblieben war. Heute Abend hatte sie ihn das erste Mal ernsthaft als Kollegen wahrgenommen. Sie musste sich eingestehen, dass er tatsächlich etwas von seinem Handwerk und ihrer Zielgruppe verstand. Anfangs hatte sie noch versucht, ihre Reserviertheit aufrechtzuerhalten. Ihr Stolz verbot es ihr, diesen kollegialen Umgang zu akzeptieren. Doch irgendwo zwischen den lustigen Anekdoten über Karlos alten Kundenstamm, seinem verschmitzten Lächeln und ihrem Arbeitseifer hatte sie ihre Wut vergessen. Als sie das erste Mal über einen seiner Erfahrungsberichte lachte, fühlte es sich an, als sei ihr jemand in den Rücken gefallen – sie selbst. Doch als er ihr später seine Jacke anbot, gab sie ihren Widerstand auf. Es war ja auch verdammt kühl geworden.
Karlo drehte sich zum Fahrradständer um. Er kramte in seiner Laptoptasche nach irgendetwas.
„Ich könnte dich rasch mit dem Auto nach Hause fahren“, bot Marie an.
„Danke, aber ein bisschen Bewegung wird mir jetzt ganz gut tun. Außerdem brauche ich mein Fahrrad morgen früh.“
Marie zuckte mit den Schultern. „Wie du meinst.“
Sie wünschte ihm eine gute Nacht und hatte sich bereits abgewandt, als Karlo nach ihr rief: „Hey, Marie, warte mal!“
Er trat einen Schritt auf sie zu und sie fühlte sich plötzlich an den Vorabend erinnert, als er sie geküsst hatte. Dieses Mal fragte er „Darf ich?“ und fasste, ohne ihre Antwort abzuwarten, in die rechte Tasche seines Jacketts. Er zog einen Schlüssel hervor. „Den brauche ich.“ Dann drehte er sich um und ging zu seinem Fahrrad.
Verwirrt machte sich Marie auf den Weg zu ihrem Auto. Dort angekommen, stieg sie ein und atmete tief durch. Karlos Geruch schien sie bis hierher zu verfolgen. Er roch nach Meer – so als würde er sich jeden Morgen mit ausgestreckten Armen in den frischen Wind der Nordsee stellen. Dann fiel ihr ein, dass sie sein Jackett trug. Sie hob einen Ärmel an ihre Nase und sog den Geruch ein.
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War Reichtum ein No-go?
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