Verrat im Zunfthaus
die Vorführungen der Schützenbruderschaften sehr genossen zu haben. Adelina und Benedikta mussten ausufernde Beschreibungen der Vorgänge auf dem Neumarkt über sich ergehen lassen, in deren Verlauf Feidginimmer wieder von einer Bekanntschaft mit einem gewissen Heinrich Reese schwärmte, der ihr freundlicherweise die verschiedenen Farben der Bruderschaften und ihre Abzeichen erklärt hatte.
Adelina horchte bei diesem Namen auf und nahm sich vor, den Gewaltrichter nach diesem Heinrich zu fragen. Womöglich handelte es sich ja um einen Verwandten?
«Diese Kunstfertigkeit!», rief Feidgin gerade und unterstrich ihre Worte mit einer ausholenden Geste. «Wunderbar, sage ich euch! Unglaublich, dieser junge Spund behauptete von sich, er könne mit der Armbrust einem Spatz auf hundert Fuß den Schnabel fortschießen. Und was glaubt ihr wohl … Er tat es!»
«Du liebe Zeit!» Benedikta schauderte. «Wie unappetitlich!»
«O nein, natürlich hat er nicht auf einen Spatzen geschossen», berichtigte Feidgin sich. «Aber auf den Stiel eines Apfels. Ich sage euch …»
Was sie noch sagen wollte, ging in einem lauten Poltern an der Haustür unter. Jemand rief nach Adelina und pochte erneut. Alarmiert sprang sie auf und eilte, dicht gefolgt von Benedikta, in die Apotheke.
Als sie die Tür öffnete, erschrak sie. «Meister Jupp, was ist mit Euch geschehen? Ihr seid ja über und über voll Blut! Kommt herein, damit ich …»
«Nicht mein Blut, Frau Adelina, seid beruhigt. Doch bin ich sehr in Eile; Neklas schickt mich. Er sagte, Ihr wüsstet, wo er sein …» Er senkte die Stimme und blickte sich kurz um. «Wo er sein Sezierbesteck verwahrt.»
«Sein …?» Entsetzt starrte Adelina den Chirurgen an. «Um Himmels willen, was ist geschehen?»
«Eigentlich darf ich Euch nichts … Nun ja, also eswurde vor dem Severinstor ein Toter gefunden, und die Umstände seiner Ermordung …»
«Ermordung?» Benedikta wurde blass und bekreuzigte sich.
«Ermordung», bestätigte Meister Jupp mit einem kurzen Blick auf sie. Dann wandte er sich wieder an Adelina. «Die Umstände erfordern eine Sektion.»
«Großer Gott!» Adelina spürte, wie alles Blut aus ihrem Gesicht wich. «Er darf doch nicht sezieren. Wenn der Erzbischof davon erfährt!»
«Er hat schon davon erfahren. Oder vielmehr wird es, wenn der berittene Bote bei ihm eintrifft. Der Gewaltrichter und einige der Schöffen wollen eine Ausnahmeerlaubnis vom Erzbischof erwirken.» Meister Jupp wischte sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn und hinterließ dabei einen rotbraunen Streifen. «Würdet Ihr nun dieses Besteck holen?»
«Wer ist der Tote?»
«Es eilt, Frau Adelina.»
«Wer?» Ihre Stimme wurde laut.
Überrascht blickte Meister Jupp in ihr verärgertes Gesicht. «Es ist dieser Zunftmeister, den der Vogt schon seit Tagen sucht. Vetscholder heißt er wohl.»
Adelina biss sich auf die Lippen. Geahnt hatte sie es bereits, doch nun, da sie Gewissheit hatte, wirbelten die Fragen nur so in ihrem Kopf herum. «Ich hole, was Ihr braucht», murmelte sie und wandte sich im Gehen an ihre Schwiegermutter, die erschrocken dem Gespräch gefolgt war. «Bitte sei doch so gut und bring Meister Jupp eine Schüssel mit Wasser, damit er sich das Blut abwaschen kann.»
«A … aber natürlich! Kommt derweil herein, guterMann!» Benedikta schloss hinter Meister Jupp die Tür und eilte dann hinaus in die Küche.
Adelina holte sich eine Öllampe und ging damit in den Keller. Dort lagerten nicht nur Wein, Bier und verderbliche Lebensmittel, sondern es gab auch einen Raum, der früher ihrem Vater und heute Neklas als Laboratorium diente. Die Gerätschaften dort ähnelten denen, die Adelina im Hinterzimmer zum Brauen ihrer Arzneien verwendete, doch die Gestelle um und über der Feuerstelle mit dem Blasebalg waren ungleich komplizierter angeordnet. Darüber befand sich eine winzige Fensteröffnung, die als Luftabzug diente, nun aber mit Schweinsleder abgedichtet war. Einer der Lappen war herabgefallen, sodass durch die entstandene Lücke ein winziger matter Lichtstrahl hereindrang.
Mitten im Raum stand ein Tisch, der mit Büchern und Aufzeichnungen auf Papier und Pergament übersät war. Dazwischen stand ein Becher mit angetrockneten Weinrändern und ein Teller mit Bratenresten, auf denen sich bereits bläulichweißer Schimmel ausgebreitet hatte. An den Wänden waren Regalbretter angebracht, auf denen sich weitere Bücher neben unzähligen leeren wie auch mit verschiedenen
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