Verrat im Zunfthaus
fort. «Er gibt zu, dass die Entführung eines unschuldigen Kindes das größere Verbrechen ist. Er scheint dich übrigens wirklich zu mögen, denn er bestand darauf, dir zuliebe bei der Suche zu helfen.»
«Ein merkwürdiger Mann», sagte Adelina. «Meister Jupp meint, du hättest Thomasius unter Druck gesetzt. Ist das wahr?»
Neklas lächelte. «Ich habe ihm nur nahegelegt, über seine vergangenen Sünden nachzudenken. Zur besseren Erinnerung gab ich ihm eine Zusammenfassung des Schreibens, mit dem er Ruths Taufe verhindert hat. Wenn er gekonnt hätte, hätte er mir vermutlich gerne den Hals umgedreht.»
«Glaubst du, er wird uns nun endlich in Frieden lassen?»
«Nein. Oder … eines Tages vielleicht. Nein», korrigierte er sich. «Er ist lästig wie eine Horde Schmeißfliegen, und das wird sich wohl auch nicht mehr ändern.»
«Müssen wir Angst vor ihm haben?» Adelina trat zu Neklas ans Fenster.
Er ließ sich mit seiner Antwort Zeit, doch dann schüttelte er den Kopf und zog sie an sich. «Nein, müssen wir nicht.» Er drückte seine Lippen auf ihr Haar. «Nicht, solange ich unter deinem läuternden Einfluss stehe.»
Neklas grinste.
«Du meinst wohl, solange du ihm ein schlechtes Gewissen machen kannst. Das ist Erpressung, Neklas.»
«Nur ein wenig.» Er gab ihr einen Kuss. «Fühlst du dich wohl genug, um mit mir zum Rathaus zu gehen und Reese aufzusuchen?»
***
Sie hatten den Gewaltrichter nicht angetroffen, ihm nur eine Nachricht hinterlassen können, und waren dann durch den nicht nachlassen wollenden Regen wieder zurück zur Apotheke geeilt.
Adelina hatte sich vorgenommen, den Verkaufsraum aufzuräumen. Zwar hatten Feidgin, Benedikta und vermutlich auch Mira versucht, das Chaos zu beseitigen, doch nun standen die Arzneien und Ingredienzien in einem heillosen Durcheinander in den Regalen. Es würde bis zum Abend dauern, alles wieder an seinen angestammten Platz zu stellen. Adelina hoffte, durch die Arbeit die Sorge um Griet wenigstens für eine Weile verscheuchen zu können.
Neklas, der indes rastlos im Haus herumgestreift war, machte sich schließlich zu Meister Jupps Wohnhaus auf, um Vitus und Mira abzuholen.
«Sie sind hier genauso sicher wie dort», meinte er achselzuckend und verließ die Apotheke.
Adelina räumte die unteren beiden Regalfächer aus und stellte alle Gläser, Dosen und Phiolen auf den Verkaufstresen. Moses kam hereingehumpelt und legte sich schnaufend neben sie, sodass sie bei jedem Handgriff über ihn steigen musste. Auch Fine war wieder aufgetaucht. Nach den Vorfällen der vergangenen Tage hatte sie sich vermutlich draußen im Stall versteckt. Nun war sie in eines der leeren Regalfächer gesprungen und putzte sich ausgiebig.
«Hat Magda dir eine Schale Milch gegeben?», fragte Adelina und strich der Katze sanft über das Fell.
Fine schnurrte und leckte sich geziert über die rechte Vorderpfote.
«Du vermisst Vitus, was?» Adelina räumte nun auch das zweitoberste Regalfach aus und wischte mit einem Lappen über das Holz. «Er ist bald wieder hier.» Ihre Miene verfinsterte sich. «Und wenn er zurück ist, müssen wir ins Gaffelhaus, wo Vater aufgebahrt ist.» Ihr graute davor, denn sie wusste nicht, wie sie ihrem Bruder klarmachen sollte, dass ihr Vater gestorben war und nicht mehr zu ihnen zurückkehren würde. Sie hatte es ja selbst noch nicht ganz begriffen.
Fine kauerte sich im Regal zusammen und sah ihr mit zuckender Schwanzspitze bei der Arbeit zu.
Um an das oberste Regalbrett zu gelangen, musste Adelina auf einen Hocker klettern. Auf einigen der Kisten und Kästen, die sie dort lagerte, hatte sich bereits eine dünne Schicht Staub abgesetzt. Sie fuhr mit ihrem Lappen darüber und hob zuletzt zwei bauchige Krüge herunter, um zu prüfen, ob deren Inhalt noch genießbarwar. Dabei fiel ihr Blick auf eine mit gewirkter Goldschnur umwickelte Holzschachtel, kaum größer als ihr Handteller, die ganz hinten an die Wand gerutscht war. Stirnrunzelnd nahm sie die Schachtel aus dem Regal.
***
«Du liebe Zeit, wie unanständig», sagte Benedikta kopfschüttelnd. Sie saß am Küchentisch, vor sich die geöffnete Schachtel, und hielt in der linken Hand den Brief, der darin gelegen hatte, und in der rechten Hand eine Pfeilspitze aus geschliffenem Glas. «Dieses Schreiben werde ich Feidgin auf keinen Fall aushändigen. So was, er will ihr sein Haus zeigen. Seine Schlafkammer wohl eher, wie? Aber wenigstens wissen wir nun, warum Feidgin ihn nicht mehr getroffen und er nie
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