Verscharrt: Thriller (German Edition)
«
» Vor drei Jahren. «
Zu lange her, denkt O’Hara. Passt nicht in den Zeitrahmen. » Wie sieht es mit den Wochenendveranstaltungen aus? « , fragt sie und erinnert sich an die Flyer an den Baumstämmen. » Was für Künstler treten da auf? «
» Hauptsächlich schlechte. Folksänger, Stand-up-Comedians, Puppenspieler, Dichter, Spoken-Word-Akrobaten. Eine Zirkustruppe tritt jedes Jahr auf, Circus Amok nennen die sich. Sie sind sogar sehr gut, die Leitung hat eine bärtige Frau namens Jennifer Miller übernommen. «
» Hat sie auch einen Schlüssel? «
» Wahrscheinlich schon. Ich sehe sie hin und wieder abends einen Joint rauchen. «
» Was ist das für ein Zirkus? « , fragt Jandorek.
» Sie machen in erster Linie was für Kinder. Ein ungewöhnlicher Zirkus– die meisten sind schwul, lesbisch oder transsexuell, und alles ist anders, als man es erwarten würde. Der starke Mann ist eine große, bullige Lesbe. Der Seiltänzer zieht sich mitten auf dem Seil um und steht dann plötzlich im Kleid und mit hohen Hacken da. Und die bärtige Jennifer macht die Ansagen. Sie kommt jonglierend auf einem Einrad in die Manege gefahren und schreit: » Ja, leck mich am Arsch! Wir sind Circus Amok! «
» Und das soll was für Kinder sein? « , fragt Jandorek.
» Die Kids lieben so was– die machen auch eine Schatzsuche, bei der sie kleine ausländische Münzen ausgraben dürfen. «
» Was für Münzen? «
» Lira, Yen, Pesos. Jedes Jahr was anderes. «
» Hat jemand von den Zirkusleuten Kinder? « , fragte O’Hara.
» Weiß nicht. Kann schon sein. «
» Diese Miller « , fragt Jandorek. » Hat sie wirklich einen echten Bart? «
» Wie bei den alten Freak-Shows früher « , sagt Fagerland. » Sie tritt auch in Coney Island auf. «
» Sonst noch irgendwelche Gestörte oder Durchgeknallte? «
» Wir mussten ein Vereinsmitglied bitten, nicht mehr auf dem Gartengelände anschaffen zu gehen. Es ist nie leicht, Leute dazu zu bringen, sich nicht danebenzubenehmen. «
Als Fagerland gegangen ist, bleiben O’Hara und Jandorek unter der surrenden Leuchtstoffröhre sitzen. » Lars « , sagt Jandorek, » ein kaputter Junkie und ein Weib mit einem Bart. «
» Die bärtige Frau ist ziemlich interessant « , sagt O’Hara.
» Weil sie einen Bart hat? «
» Bärtige Frauen sind einfach interessant. Aber ich habe an das Grab gedacht. An die Münzen und die Kleinigkeiten, die reingeworfen wurden. Der Junge kann auch von einer Gruppe von Leuten verscharrt worden sein, jeder hat was anderes beigesteuert. «
» Eine Einladung zu einer Beerdigung, und jeder bringt was mit « , sagt Jandorek.
» Eine unkonventionelle Zirkustruppe passt sehr gut dazu. Und wenn ein Kind in einem solchen Umfeld aufwächst, hat es vielleicht keine Zeit zur Schule zu gehen. Das würde auch erklären, warum der Junge nicht im System auftaucht. «
» Leuchtet mir ein « , sagt Jandorek. » Und die Yen und Pesos von der Schatzsuche sprechen genauso dafür– aber mir gefällt Lars trotzdem besser. Er ist groß, er ist seltsam, und seine ganze Familie ist blond. Und eine Tochter fehlt schon. Außerdem hat Bradley gesagt, dass das Grab genau vermessen und ausgehoben wurde, wie ein Schmuckkästchen, und der Kerl war früher Zimmermann. «
» Jesus auch « , sagt O’Hara.
» In dem Scheißgarten gibt es hundertzehn Parzellen, und zufällig liegt die seiner Familie direkt neben der Stelle, wo die Leiche eines Jungen verbuddelt wurde. Wie wahrscheinlich ist das? «
» Eins zu hundertzehn. «
» Sicher, dass du keine Autistin bist? «
» Wie wär’s, wenn ich nach Coney Island fahre und du mal schaust, was du über die schwedische Familie Malmströmer rausbekommst. «
» Finde ich gut. Apropos gut, ich fand Fagerland echt knackig. «
» Hab ich gemerkt. «
KAPITEL 18
O’Hara parkt auf der Neptune Avenue und folgt der Strandpromenade, bis sie auf der letzten Ecke der brodelnden Metropole steht– Twelfth Street und Surf Avenue, Coney Island, Brooklyn. Hier befindet sich Sideshows by the Seashore, den Werbetafeln zufolge die letzte Ten-in-One-Freak-Show mit festem Standort in ganz Amerika. O’Hara gibt einem tätowierten Kassierer drei Dollar und betritt den dunklen kastenförmigen Raum. Trotz des Namens weht hier keine frische Meeresbrise, es riecht nach abgestandenem Schweiß, die Bühne ist aus Sperrholz und die Tribüne aus Stahl. Neben der Bühne befindet sich ein Garderobenraum, und durch den Türspalt fällt Licht auf ein Aquarium, in dem
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