Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
Seetemperaturen 15 Grad erreicht hatten,
an einem der vielen frei zugänglichen Uferabschnitte zu schwimmen. Schlecht war
es nicht, das Leben hier am See, mal kurz mit dem Katamaran nach Friedrichshafen,
zum Wandern nach Appenzell, zum Sonnenaufgang auf den Hohentwiel, mit der Fähre
auf einen Wein nach Meersburg, und doch war er unzufrieden.
Die Region
bot wenig Spektakuläres für einen engagierten Kriminalpolizisten, und sobald es
wirklich mal zur Sache ging, waren die Kollegen aus Konstanz oder vom LKA gefragt.
Meistens. Im aktuellen Mordfall, der sich direkt vor seiner Haustür ereignet hatte,
war ihm die Leitung der SOKO Rotwein übertragen worden. Was wahrscheinlich
daran lag, dass sie auch noch eine Leiche im Konstanzer Hafenbecken zu bearbeiten
hatten. Endlich konnte er zeigen, was in ihm steckte.
Als Linda
ihn angerufen und um ein Treffen am Abend gebeten hatte, hatte er zunächst gezögert.
Er hatte wenig Lust, sich mit der Frau zu treffen, der er seine jetzige berufliche
Situation zu verdanken hatte. Doch schließlich hatte er zugestimmt, Linda Roloff
war attraktiv und schien immer noch Single zu sein. Kein unwichtiges Argument für
einen einsamen Wolf. Zudem hatte sie von Erkenntnissen im Fall Lene Grandel gesprochen,
die sie ihm mitteilen wollte.
»Ihr verdächtigt
diesen Wohnsitzlosen«, begann Linda. »Jakob Eberle, stimmt doch?«
»Er steht
zumindest im Fokus«, wich Jens Bosch aus. »Ich erzähle dir nachher vielleicht mehr.
Was hast du mir zu sagen?«
Sein offizieller
Tonfall irritierte sie. Linda wählte ihre Worte vorsichtig, um nicht zu viel zu
verraten. Ihren konkreten Verdacht musste sie noch für sich behalten.
»Ich habe
herausgefunden, dass Lene Grandel größere Geldsummen aus der Schweiz bekommen hat.
Jakob Eberle war ihr Bote. Vielleicht kann dir das bei deinen Ermittlungen helfen.«
»In der
Tat. Allerdings wissen wir das schon und ermitteln in dieser Richtung. Aber wie
hast du das herausgefunden?«
»So was
nennt man Recherche«, sagte sie frech.
»Was weißt
du noch?«, bohrte er.
»Weiter
bin ich noch nicht«, log sie. »Grandel bekam jeden Monat 500 Franken auf ein Schweizer
Bankkonto. Eberle hatte eine Vollmacht.«
»Woher weißt
du das?«
»Von ihm
selbst.«
»Du weißt,
wo er steckt?« Jens wurde laut und die Leute drehten sich nach ihnen um.
»Ich habe
ihn getroffen, ja. Und ich glaube, dass ich noch mehr herausfinde, wenn du mir die
Zeit dazu lässt. Jens, ich kann dir nicht mehr sagen, heute noch nicht. Gib mir
noch einen Tag, dann erfährst du alles, was ich weiß. Ich brauche noch 24 Stunden,
um den Verdacht gegen Pulle auszuräumen.«
»Du ermittelst
auf eigene Faust? Gut, das ist dein Risiko. Aber wenn du mir etwas verheimlichst,
was zur Lösung des Falles beitragen kann …«
»Willst
du mir drohen?«, unterbrach sie ihn.
»Nein, gewiss
nicht. Ich werde dir jetzt sogar sagen, welche neuen Erkenntnisse wir haben, weil
ich dir vertraue. Dafür erfahre ich morgen von dir, wo wir diesen Eberle finden?«
Linda nickte.
»Er steht
ehrlich gesagt schon gar nicht mehr auf der Liste der Verdächtigen. Aber als Zeuge
brauchen wir ihn dringend, da wir davon ausgehen, dass er einer der Letzten ist,
der Lene Grandel noch lebend gesehen hat. Sie ist nämlich nicht dort gestorben,
wo man sie gefunden hat.«
Kriminalhauptkommissar
Jens Bosch sagte das in einem so nebensächlichen Ton, dass Linda es fast überhörte.
Erst als er nachsetzte: »Ihr Garten war nicht der Tatort«, wurde sie sich der Tragweite
seiner Worte bewusst.
»Die Kollegen
haben Erdreste an den Schuhen der Toten gefunden, die eindeutig nicht aus dem Garten
stammen. Außerdem eine zertretene Waldameise, › Formica rufa ‹«, zitierte er
aus dem Untersuchungsbericht. »Unter ihren Fingernägeln fanden sich Laubpartikel
von Bäumen, die in ihrem Garten nicht vorkommen. Lärche, Buche.«
»Das klingt
nach Wald«, bemerkte Linda.
»Ja. Außerdem
gibt es Spuren von Schnegglisand.«
»Den kenne
ich nur aus dem Wollmatinger Ried. Sand, der aus kleinen Muscheln und Schneckenhäusern
besteht.«
Sie hatte
diesen Kalksand auf einer Halde im Kieswerk gesehen und sich darüber gewundert,
da sie ihn nur vom Bodensee direkt kannte. Sollte Lene vielleicht im Wald beim Kieswerk
…? Dann wäre klar, warum sich der Täter die Mühe gemacht hatte, die Tote in ihrem
Garten abzulegen? Weil er den Tatort geheim halten wollte! Weil man ihm dort auf
die Spur kommen würde …
»Es gibt
noch einen weiteren Punkt, der
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