Verschollen
erfolglos. In diesem Zimmer waren offenbar keinerlei Lampen angebracht. Und vor dem Fenster dieselben dicken Gardinen. Dann drehte er sich um. Der Teppichboden verschluckte jedes Geräusch seiner Schritte. Er blieb stehen und horchte. Dann bemerkte er, wie leise es hier war, die Laute von draußen drangen kaum mehr als ein Flüstern herein.
Er nickte Ivarsson zu, der ihm gefolgt war, und breitete die Arme aus. »Was meinen Sie?«
»Es sieht nicht so aus, als würde hier überhaupt jemand wohnen«, sagte Ivarsson und sah sich vorsichtig um.
Tatsächlich gab es keinerlei Hinweise darauf, dass jemand in der Wohnung lebte. Außer diesem Gefühl, dachte Nielsen. Er bemerkte, wie er zu schwitzen begann. Es war warm, als wäre die Heizung hochgedreht worden. Er blinzelte in das matte Licht der Lampe.
»Das ist hier ja wie in einem verdammten Terrarium!«, fluchte er, ging zum Fenster und zog die schwere Gardine zur Seite. Eine fahle Nachmittagssonne fiel herein. Dann sah er die Zeitungsausschnitte auf der Werkbank. Er beugte sich über den Tisch.
»Kommen Sie mal bitte her?«, sagte er mit belegter Stimme.
Der Artikel vom letzten Frühling lag obenauf, sein eigener Name war dick unterstrichen. Darunter fand sich eine Auswahl von Texten über die Geschehnisse der letzten Monate sowie der Artikel über den Brief, der behauptete, dass Anna-Greta Sjödin noch am Leben sei. Ganz unten lagen die vergilbten Artikel über ihr Verschwinden.
Olle Ivarsson sog scharf die Luft ein und studierte aufmerksam die Ausschnitte. »Er scheint sich da richtig hineingearbeitet und vorbereitet zu haben.«
»Ich glaube nicht, dass er es musste«, antwortete John Nielsen kurz. Er stellte sich ans Fenster und sah hinunter auf die Straße.
»Es war beabsichtigt, dass wir sie finden sollen«, sagte er. »Er wusste, dass wir kommen würden. Oder vielmehr, dass ich kommen würde. Darum war auch die Tür unverschlossen.«
Ivarsson schüttelte den Kopf.
»Das kann man doch nicht planen. Wie sollte jemand wissen können, dass Sie ausgerechnet heute hier auftauchen würden?«
»Ich habe keine Ahnung. Aber mein Gefühl sagt mir, dass er wusste - oder spürte -, dass ich kommen würde. Und dass dieser Stapel für mich gedacht ist.«
John Nielsen starrte weiter auf die Straße hinunter. Einige Passanten huschten die Straße entlang. Er hob seinen Blick zur gegenüberliegenden Häuserfassade und ging die Fenster einzeln ab. Dann wandte er sich ab und sah sich in der Wohnung um. Wieder beschlich ihn dieses Gefühl wachsenden Unbehagens, dass er beobachtet und überwacht wurde. Er ließ den Finger auf dem kräftigen Strich unter seinem Namen verweilen.
»Man kann fast sagen, dass er diese Papiere an mich adressiert hat.«
Er zog den Stapel zu sich, faltete die Zettel sorgfältig zusammen und steckte sie in die Tasche. Dann verließ er mit langsamen Schritten die Wohnung. Ivarsson folgte ihm mit gerunzelter Stirn, ohne ein Wort zu sagen, und zog die Tür hinter sich zu.
Unten auf der Straße angekommen, fing Nielsen an, in den Taschen nach seiner Zigarettenschachtel zu suchen. Schließlich fand er sie und klopfte eine heraus. Als er sie anzündete, merkte er, dass seine Hände zitterten. Er warf einen Blick zu Olle Ivarsson.
»Er hätte dort drinnen sein können«, sagte er. »Wir haben nicht einmal ordentlich nachgesehen.«
Ivarsson schüttelte den Kopf. »Da war keiner«, erwiderte er entschieden.
John Nielsen starrte vor sich hin.
»Ja, Sie haben bestimmt Recht. Aber man konnte ihn spüren. So als wäre er in der Nähe, als würde er hier irgendwo stehen und uns beobachten...«
Er nahm einige gierige Züge von der Zigarette, warf sie dann weg und sah hinüber zu Ivarsson.
»Wann fahren Sie wieder gen Norden, nach Hause?«, fragte er.
»Ich bin schon auf dem Weg. Mein Zug geht heute Nachmittag, kurz nach fünf.«
»Wäre es Ihnen vielleicht möglich, heute Nacht bei mir einen Zwischenstopp einzulegen?«
Ivarsson sah unschlüssig aus, knetete sich das Kinn. »Nun ja, ich sollte eigentlich schon morgen früh wieder zurück sein...«
»Wenn Sie das ändern könnten, wäre es gut«, unterbrach ihn Nielsen. »Ich glaube, wir sollten uns einmal ausführlich unterhalten.«
Olle Ivarsson sah ihn eine Weile aufmerksam an, dann nickte er. »Vielleicht haben Sie Recht«, sagte er schließlich. »Vielleicht wäre das eine gute Idee.«
Ivarsson zwängte sich ohne weiteren Kommentar durch das Durcheinander im Wohnzimmer.
»Sie haben es ein wenig
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