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Verschollen

Titel: Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Smedberg
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nichts mehr geschehen, versuchte er sich einzureden. Trotzdem wartete er die ganze Zeit. Er war unfähig, irgendetwas zu tun, schrieb nicht, las nicht. Aß kaum. Die meiste Zeit lag er im Bett. Wenn er aufstand und im Haus herumging, vermied er instinktiv die Stelle, an der die Leiche gelegen hatte. Und er versuchte, sich so im Wohnzimmer zu platzieren, dass er sowohl die Auffahrt als auch die Straße überblicken konnte.
    Nachts schlief er rastlos, kam nicht zur Ruhe. Er wachte jäh mit Herzklopfen und trockenem Mund auf und konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass er der Schwächere, der Unterlegenere war. Dass ihn noch immer jemand beobachtete und bewachte, dass jemand wartete.
    Er begrub Tjarrko hinterm Haus in einer Ecke, in der früher einmal ein Gemüsebeet gewesen sein musste. Noch hatte es keinen Frost gegeben, aber der Boden war matschig und schwer zu bearbeiten. Außerdem war er untrainiert und körperliche Arbeit nicht mehr gewohnt. Der Schweiß lief ihm in Strömen den Rücken hinunter, während er grub. Er hatte den Geschmack von Blut im Mund, und die Übelkeit kam und ging in Schüben. Endlich war er soweit und trug den steifen Hundekörper zu der flachen Grube. Vorsichtig ließ er ihn hineingleiten. Eine Weile blieb er stehen und betrachtete das Tier. Der Regen und die Feuchtigkeit hatten sein struppiges Fell dicht an den Körper geklebt. Er sah auf einmal so klein und schmächtig aus, wie er da lag.
    Dann begann er das Loch zuzuschaufeln.
    Eine lähmende Leere hatte ihn überfallen. Er wusste, was er zu tun hatte, und trotzdem war er nicht in der Lage, es zu tun. Eine Kraftlosigkeit hatte sich seiner bemannt, die es ihm unmöglich machte zu handeln. Vielleicht war es auch nur die nackte Angst. Die Angst vor etwas Unausweichlichem, vor einem Treffen, dem er nicht aus dem Wege gehen konnte.
    Er konnte es nur aufschieben.
    Am dritten Dezember hatte es den ganzen Tag über fast ohne Unterbrechung heftig geschneit. Er ging hinaus in die weiße Natur. Der Pfad hinunter in das Erholungsgebiet war nicht mehr zu erkennen, und er stapfte seinem Gefühl nach durch den Schnee, das Gesicht im Wind. Zwischendurch blieb er stehen und strich sich den Schweiß von der Stirn. Tastend fuhr er über seine Wangen, auf denen sich die Stoppeln langsam zu einem Bart verdichteten.
    Er betrachtete die kleinen Schneewehen und spürte, wie Schneeflocken gegen sein Gesicht schlugen, die Kälte den Weg unter seine Kleider fand. Er wusste, dass er nicht mehr länger warten konnte. Seit über einer Woche hatte er zum ersten Mal das Gefühl, dass jene betäubende Müdigkeit von ihm abzufallen begann, dass er langsam wieder auf dem Weg an die Oberfläche war.
    Er ging weiter, wählte dieselbe Strecke wie früher, über den Fluss, hinauf zum Waldrand und dann in einem weiten Bogen zurück über die Uferwiesen. Hin und wieder ertappte er sich dabei, wie er sich umdrehte und nach dem Hund Ausschau hielt. Ungehalten rief er sich zur Ordnung und ging weiter. Als er zum Haus zurückkehrte, hielt er inne, schloss die Augen und holte tief Luft, ehe er die Tür öffnete und eintrat. Das hatte er sich so angewöhnt, ebenso wie er kaum noch das Telefon benutzte.
    Er ging durch das Wohnzimmer ins Schlafzimmer und suchte ein paar Kleidungsstücke zusammen. Dann kehrte er ins Wohnzimmer zurück und sah sich um. Er benötigte nichts weiter, keines dieser Dinge hier konnte ihm im Moment von Nutzen sein. Am Schreibtisch zögerte er für den Bruchteil einer Sekunde, ehe er den Hörer abnahm und ein Taxi bestellte. Er stellte sich ans Fenster, zündete eine Zigarette an und wartete darauf, dass der Wagen auftauchte.
    Es kostete ihn gut eine Woche, um die Informationen zu bekommen, die er wollte. Zu Anfang arbeitete er sich tastend voran, wusste nicht, wonach er suchte. Nach und nach wurden die Konturen immer klarer, und mit einem Schwindelgefühl betrachtete er das Bild, das sich darunter ergab.
    Er wohnte im Hotel und zog innerhalb einer Woche dreimal um, in ein immer billigeres Quartier. Seine Anrufe führte er von verschiedenen Telefonzellen in der Innenstadt. Wiederholt versuchte er Harri Rajamäki zu erreichen, allerdings ohne Erfolg. Harri ging nicht an den Apparat, und keiner von denen, die er befragte, hatte ihn in den letzten Wochen gesehen. Er verzichtete darauf, mit Lasse Henning Kontakt aufzunehmen. Mit dieser Geschichte konnte er sich nicht an Lasse wenden.
    Seine Prothese machte ihm Sorgen. Der beschädigte Verschluss griff nicht

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