Verteidigung
standhalten. Varrick weiß das schon eine ganze Weile und hat die Vergleichsgespräche in die Länge gezogen, um uns direkt vor der Klopeck-Verhandlung den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Worley sagt, die Partner von Zell & Potter sind in Aufruhr, aber Alisandros hat das letzte Wort. Er kommt nicht nach Chicago, weil er sich seine Erfolgsgeschichte nicht mit einer solchen Schlappe verderben will. Ohne Sachverständige haben wir keine Chance. Worley meint, wahrscheinlich ist mit dem Medikament von vornherein alles in Ordnung gewesen.«
»Ich wusste gleich, dass das Ganze eine Schnapsidee war«, meinte Oscar.
»Ach, halt doch die Klappe!«, zischte Wally.
David setzte sich so weit wie möglich von den beiden entfernt auf einen Holzstuhl. Oscar hatte die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt und den Kopf zwischen die Arme gepresst wie in einen Schraubstock, als kündigte sich eine mörderische Migräne an. Wally hielt die Augen geschlossen, sein Kopf zuckte.
Da es den beiden offenbar die Sprache verschlagen hatte, fühlte sich David bemüßigt, das Gespräch in Gang zu bringen. »Kann er denn so kurz vor der Verhandlung noch einen Rückzieher machen?«, erkundigte er sich, obwohl ihm bewusst war, dass die Partner praktisch gar nichts über die für Bundesgerichte geltende Prozessordnung wussten.
»Das liegt im Ermessen des Richters«, meinte Wally. »Was machen die mit all ihren Fällen?«, fragte er David. »Die haben Tausende, wenn nicht Zehntausende.«
»Worley glaubt, sie werden sich bedeckt halten, bis klar ist, was hier mit dem Klopeck-Prozess passiert. Ich nehme an, wenn wir gewinnen, nimmt Varrick die Verhandlungsgespräche wieder auf. Wenn wir verlieren, sind die Krayoxx-Fälle vermutlich wertlos.«
Der Gedanke, dass sie gewinnen könnten, schien an den Haaren herbeigezogen. Minutenlang sprach keiner ein Wort. Das einzige Geräusch war das mühsame Atmen der drei geschockten Männer. In der Ferne erklang die Sirene eines Rettungswagens, der sich auf der Beech Street näherte, aber keiner der drei reagierte.
Schließlich richtete sich Wally auf oder versuchte es zumindest. »Wir müssen das Gericht um Aufschub bitten, um mehr Zeit, und versuchen, gegen den Entlassungsantrag Einspruch einzulegen.«
Oscar brachte es fertig, den Kopf zu heben. Er starrte Wally an, als hätte er am liebsten auch auf ihn geschossen. »Ruf gefälligst deinen Busenfreund Alisandros an und frag ihn, was zum Teufel da vor sich geht. Der kann sich doch nicht kurz vor der Verhandlung einfach davonstehlen. Sag ihm, wir beschweren uns wegen Verletzung der Standesregeln. Sag ihm, wir informieren die Presse darüber, dass sich der große Jerry Alisandros nicht nach Chicago traut. Sag ihm, was du willst, aber er muss diesen Prozess führen. Wir können es weiß Gott nicht.«
»Wieso sollen wir überhaupt vor Gericht gehen, wenn mit dem Medikament alles in Ordnung ist?«, wollte David wissen.
»Das Medikament ist gefährlich«, behauptete Wally. »Und wir finden einen Sachverständigen, der das bestätigt.«
»Irgendwie kann ich das nicht so recht glauben«, sagte Oscar.
David erhob sich und ging zur Tür. »Ich schlage vor, jeder geht in sein Büro, denkt in Ruhe nach, und in einer Stunde treffen wir uns hier wieder.«
»Gute Idee.« Wally erhob sich mühsam. Er torkelte in sein Büro, griff zum Telefon und rief Alisandros an. Wie nicht anders zu erwarten, war der große Mann nicht zu sprechen. Wally fing an, ihm E-Mails zu schicken – lange, bittere Nachrichten voller Drohungen und Beschimpfungen.
David durchsuchte das Internet nach Blogs, die sich mit Finanzen, Sammelklagen oder Rechtsfragen befassten, und fand die Bestätigung dafür, dass Varrick die Vergleichsgespräche abgebrochen hatte. Der Aktienkurs war den dritten Tag in Folge gesunken.
Bis zum späten Nachmittag hatte die Kanzlei einen Aufschub beantragt und eine Erwiderung auf Alisandros’ Entlassungsantrag eingereicht. David erledigte praktisch die gesamte Arbeit, weil Wally aus der Kanzlei geflüchtet und Oscar nicht so richtig auf der Höhe war. David hatte Rochelle über die Katastrophe informiert, und sie sorgte sich vor allem, dass Wally wieder zu trinken anfangen könnte. Er war mittlerweile seit fast einem Jahr trocken, aber sie hatte allzu viele Rückfälle miterlebt.
Nadine Karros reagierte ungewöhnlich schnell und legte schon am nächsten Tag Einspruch gegen den Antrag auf Aufschub ein. Erwartungsgemäß hatte sie keine Einwände dagegen,
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