Vertrau mir
anderen bedrängten Maria, sie soll sich nicht so haben. Sie sei ja sonst auch kein Kind von Traurigkeit. Sie setzten den Cocktail Maria einfach an den Mund.«
»Und Maria wehrte sich.«
»Ja. Einige der Jungs und Mädchen hielten sie fest. Maria schrie und flehte. Es half nichts. Die meisten der anderen waren ja selbst schon betrunken, von den Cocktails die sie getrunken hatten. Sie realisierten die Situation gar nicht. Alles war so . . . unwirklich.«
»Was machte Tino währenddessen?«
»Er stand nur daneben. Hat sich gar nicht an dem Spektakel beteiligt. Ich glaube, er war entsetzt.«
»Aber war es nicht Tino, der das Ganze anzettelte?«
»Ja. Doch es geriet außer Kontrolle. Nicht einmal Tino konnte die anderen aufhalten.«
»Hat er es versucht?«
Jana dachte nach. »Nein«, sagte sie nach einer nachdenklichen Pause. »Er stand einfach nur daneben.«
Maike nickte Markus zu. Der schaute düster drein. »Okay«, sagte er und bedeutete Jana mit einer Kopfbewegung in Richtung Tür zu gehen. »Wir sind fertig.«
Das Mädchen verließ eilig den Raum.
Markus schüttelte unzufrieden den Kopf. »Wenn Tino sich nicht an der Gruppenmaßnahme gegen Maria beteiligt hat, können wir ihn nicht rankriegen.«
»Er hat die anderen angestiftet, hast du doch gehört.«
»Ja. Aber wie willst du ihm das nachweisen? Durch Janas Aussage? Immer vorausgesetzt, sie wiederholt das fürs Protokoll und widerruft nicht; Tinos Anwalt wird locker zehn Zeugen beibringen, die aussagen, dass die eigentliche Idee zum Spiel nicht von Tino stammte. Demzufolge ist die Mordtheorie hinfällig, weil nur die Anstiftung zu beidem, Spiel und Cocktail, den Tatbestand des Vorsatzes erfüllt.«
»Bleibt immer noch Totschlag. Bringt auch ein paar Jahre.« So schnell wollte Maike nicht aufgeben.
»Körperverletzung mit Todesfolge, höchstens. Und das nicht mal vorsätzlich«, korrigierte Markus sie. »Weil der Junge erst achtzehn ist, fällt er unter das Jugendstrafgesetz. Er ist nicht vorbestraft, hat ausgezeichnete Zeugnisse und einen ebenso guten Leumund. Er kommt mit einer Bewährungsstrafe davon.«
»Scheiße«, fluchte Maike.
»Du sagst es.«
»Feierabend«, verkündete sie resigniert. »Machen wir mit dem Rest der Bande morgen weiter. Ich habe keinen Bock mehr.«
»Feierabend?« Markus blickte seine Kollegin fragend an. »Es ist erst vier Uhr.«
Noch eine Stunde bis zur Abendfütterung der Tiere, dachte Maike automatisch. »Schaff dir ’ne Freundin an«, bluffte sie Markus an.
»Dann weißt du mit deiner Freizeit was anzufangen.«
»Was ist los mit dir? Schlecht drauf? Dir fehlt wohl selbst ’ne Freundin?« Markus grinste.
Maike grinste nur dumm zurück, schnappte sich ihren Rucksack und winkte ihm zu. »Ich bin jedenfalls für heute weg.«
Maike reihte sich in den Feierabendstau ein. Stop and go schlich sie in Richtung zu Hause – und dachte an Anna. Schon wieder! Das irritierte sie langsam ernsthaft. Warum beschäftigten ihre Gedanken sich so viel mit Anna? Gut, sie hatten in den letzten Tagen viel Zeit miteinander verbracht. Sie hatte Anna sogar geküsst. Aber war ihr Annas Gesellschaft etwa schon so zur Gewohnheit geworden, dass sie diese bereits vermisste, wenn sie sie nur einen Tag mal nicht sah?
Wenn das so ist, warum fährst du nicht einfach zu ihr? Eine Weile spielte Maike ernsthaft mit dem Gedanken. Sie war schon drauf und dran, die Fahrtrichtung zu ändern, als ihre Vernunft sie zurückpfiff: Na, das geht ja gar nicht! Was willst du Anna denn sagen, warum du kommst? Dass du sie vermisst hast? Maike rief sich zur Ordnung. Sie würde Anna heute Abend anrufen, wie sie es ursprünglich vorhatte. Und das musste genügen.
Zu Hause angekommen, machte Maike sich erst mal was zu essen. Danach las sie die Zeitung, schaute Nachrichten . . . der erste Film begann. Sie zögerte den Anruf bei Anna hinaus. In der ersten Werbepause rufst du sie an , sagte Maike sich, tat es dann aber doch nicht, setzte sich die nächste Pause als Ziel. Aber auch in der rief Maike nicht an. So ging es den ganzen Abend. Sie fand immer einen neuen Grund, warum es gerade ein schlechter Moment für einen Anruf war. Was Maike sich nicht eingestehen wollte, sie verspürte eine unerklärliche Scheu davor, Annas verwunderte Stimme fragen zu hören, warum sie anrief. Maike wusste keine Antwort auf eine solche Frage. Keine andere als die, dass sie wissen wollte, was Anna tat und wie es ihr ging. Maike fühlte sich schlicht unsicher, weil sie nicht
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