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Verzeihung, sind Sie mein Koerper

Verzeihung, sind Sie mein Koerper

Titel: Verzeihung, sind Sie mein Koerper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christl Lieben
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Tochter war hingegen eher skeptisch, war aber der Mutter zuliebe mitgekommen. »Wenn’s der Mama hilft, soll’s mir recht sein.« Im Vorgespräch klären wir, ob Irina selbst oder die Mutter aufstellen soll. Irina macht es selbst. Unser Vorgespräch dauert besonders lang. Soll es um die »Leukämie« gehen oder um den medizinischen Fachterminus für diese spezielle Art der Krankheit, oder soll es um Leben und Tod gehen? Was genau ist Irinas Anliegen? Nach einer Weile sagt sie: »Dass es der Mama nicht so schlecht geht.« Schließlich möchte sie aber doch »die Krankheit« aufstellen. Wir stellen auf:
■ Irinas Fokus,
■ die Krankheit (Irina bevorzugt diesen Namen vor allen anderen Ausdrücken),
■ das, was dahinter steht,
■ das, was heilt (dieses Element führe ich ein, Irina stimmt halbherzig zu).
    Der Fokus und die Krankheit stehen eng beieinander. Sie wirken beinahe wie ein Liebespaar. Sie schauen sich innig an, halten sich an den Händen, können gar nicht voneinander lassen.
    Â»Das, was dahinter steht« wird zu einer älteren Frau – »die Oma«, die während des Zweiten Weltkriegs an einer eigentlich heilbaren Krankheit aufgrund unzureichender ärztlicher Versorgung gestorben war.
    Nun wendet sich der Fokus der Oma zu und schaut diese so innig und direkt an, wie vorher die Krankheit.
    Â»Das, was heilt« hat bis jetzt im Hintergrund gestanden, schaut nun zu den beiden hin und nickt zustimmend. Auf Befragen, ob es einen besseren Platz für dieses Element des Heilens
geben könnte, höre ich: »Ich habe hier nichts zu tun, die machen das selbst. Ich bleibe nur im Hintergrund.«
    Im Zuge der Aufstellung mache ich immer wieder Angebote an den Fokus der Klientin, mit dem heilenden Element mehr Kontakt aufzunehmen oder dieses aus dem Hintergrund zu holen. Aber alle diese Versuche bleiben erfolglos. Die Aufstellung hat das Thema von Krankheit und Tod der Großmutter sichtbar gemacht. Die Klientin selbst scheint bedürfnislos.
    Im Schlussbild stehen Irina und ihre Oma einander gegenüber und halten sich an den Händen. Die Krankheit steht nun neben der Oma und schaut wohlwollend auf die beiden.
    Irina scheint ganz zufrieden, der Vater runzelt die Brauen, die Mutter weint still vor sich hin.
    In der Pause verabschiedet sich der Vater und lässt durchblicken, dass er von Anfang an skeptisch gegenüber dieser Art von Arbeit war. Die Mutter ist sichtlich enttäuscht vom Ergebnis. Sie hat sich Heilsameres erhofft. Irina sitzt strahlend in der Runde und ist mit großer Aufmerksamkeit bei den weiteren Aufstellungen dabei.
    Einschub: Es handelt sich immer um eine Gratwanderung, wenn ein schwerkranker Mensch kommt und sein Thema aufstellt. In vielen vergleichbaren Fällen lehne ich es daher auch ab, dafür eine Aufstellung zu machen. Noch dazu sagt diese Klientin, dass sie da sei, um der Mutter einen Gefallen zu tun, nicht aus eigenem Antrieb. Da sie aber einverstanden ist, für die Mutter »Heilsames« zu suchen (»dass es der Mama besser geht«), bin ich einverstanden. Ich vergewissere mich in diesen Fällen aber immer vorher, ob alle medizinischen Untersuchungen gemacht wurden. Niemals kann eine Aufstellung diese ersetzen.
    Einige Wochen später bekomme ich einen Anruf der Mutter. Sie erzählt, dass Irina seit dem Seminar völlig verändert sei. Sie habe alle Behandlungen abgebrochen, mache Abschiedsbesuche und habe vorgeschlagen, mit den Eltern gemeinsam
nach Kanada zu fliegen, um noch einmal ihren dort lebenden älteren Bruder samt Familie zu sehen.
    Die Mutter fragt mich, ob sie da mitmachen soll oder nicht, und berichtet auch, dass ihr Mann skeptisch sei und nicht mitfliegen wolle, weil er kein zweites Mal im selben Jahr das Geld für einen Flug auszugeben bereit sei.
    Ich kann diese Frage natürlich nicht für die Mutter beantworten, frage aber zurück: »Angenommen Sie wüssten, dass Ihre Tochter nur mehr ganz kurz zu leben hätte, was würden Sie dann tun?« – Darauf antwortete sie: »Dann wär’s für mich ganz klar, dann würde ich natürlich mitfahren. Und meinen Mann würd ich auch überreden. Das Geld dürfte dabei keine Rolle spielen.« Von dieser Familie habe ich seither nichts mehr gehört.
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