Viel Laerm um Stratfield
wirkte alles andere als einladend.
Sie rannte darauf zu.
Doch sie war nicht alleine.
Hinter ihr strömten Dominics gut ausgebildete Dienstboten in einer Woge entrüsteter Vorahnung die Treppe hinauf, als spürten sie, dass etwas im Haus nicht stimmte. Hatte der Mörder wieder zugeschlagen? Warum sonst stand das Tor noch offen, und warum war Finley nirgends zu finden?
Würden sie Sir Edgar erstochen in demselben Bett auffinden, in dem ihr früherer Herr gestorben war? Der Butler und die Lakaien übernahmen die Befehlsgewalt über die ungewöhnliche Armee. Die Hausmädchen, die Staubwedel und Mops schwangen, bildeten die Nachhut. Und dann erhob sich über dem besorgten Geflüster eine herrische Stimme.
Die kleine Gestalt Lady Dewhursts, angetan in einem Federhut und einer perlenbestickten Pelerine, bahnte sich einen direkten Weg zu Chloe. Ihre Tochter Pamela folgte ihr nach Atem ringend, begleitet von ihrem verwirrt aussehenden Liebsten Charles.
„Tante Gwendolyn!", rief Chloe und stählte sich, als sie den grimmigen Ausdruck auf dem Gesicht der Frau sah. Sie hatte ganz sicher nicht gewollt, dass ihre Tante die Wahrheit auf diese Weise herausfand. „Was machst du hier?"
Gwendolyn spähte Chloe über die Schulter. „Ich sollte dich und meinen Gemahl dasselbe fragen. Wo ist der Schurke?"
„Von welchem Schurken redest du?"
„Spiel mir nicht die Unschuldige, junge Dame. Ich bin nicht dumm. Ich habe Pamela gefragt, was alle vor mir geheim halten, und genau deswegen bin ich hier."
Chloe blickte hilflos zu Pamela hinüber, die hinter dem Rücken ihrer Mutter wieder begonnen hatte, eine ihrer unverständlichen Pantomimen aufzuführen.
„Du bist also hier, weil ... weil ... weil ich Pamela mein skandalöses Korsett geliehen habe?"
Tante Gwendolyn wirbelte herum, um die Figur ihrer Tochter zu betrachten. „Was für ein Korsett?"
Pamela schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wovon ihr redet."
Vorsichtig trat Chloe näher an den Eingang des Verstecks. Adrian und ihr Onkel wären nicht so lange dort drinnen geblieben, wenn Dominic verletzt gewesen wäre.
Es sei denn, sie bedeckten seine Leiche oder kümmerten sich um seine Wunden. Oder sie mussten den Colonel überwältigen und ...
Chloes Kopf war voller unaussprechlicher Bilder. Dominic würde siegen. Dieses Mal war er seinem Onkel gegenüber im Vorteil. Schließlich hatte er wochenlang Zeit gehabt, sich vorzubereiten und Pläne zu schmieden. Er hatte ihr versprochen, zu ihr zurückzukommen, und er war in jedem Fall ein Mann, der zu seinem Wort stand. Er war entschlossen, ihr Teufel, die andere Hälfte ihrer bösen Seele.
Sie erstarrte, weil sie schwere Schritte aus dem Inneren des Ganges hörte. Furchtsam wirbelte sie herum und sah nichts mehr außer der Gestalt, die ins Licht hinaustrat.
Eine beängstigende Sekunde lang erkannte sie ihn nicht.
Ihr Mund öffnete sich zu einem tonlosen Lachen. Seine große, schlanke Gestalt war mit einer dicken Schicht aus weißem, körnigem Staub bedeckt. Ein geisterhaftes Leichentuch von Kopf bis Fuß. Sein Haar, seine Augenbrauen, seine Wangen, die Schultern und Ärmel seines spitzenbesetzten Straßenräuberhemdes, die schwarzen Kniehosen und Schaftstiefel.
Aber er war es, heil und in Sicherheit, und er kam auf sie zu, während sie dastand und wie versteinert war von seinem Anblick und der Bedeutung des Ganzen.
„Gott sei uns gnädig!", kreischte ein Küchenmädchen vom unteren Ende der Treppe. „Er ist es leibhaftig - der Geist von Stratfield!"
Tante Gwendolyn legte die Arme um Pamela, die Federn auf ihrem Hut bebten. Verstohlen ließ Chloe den Schürhaken zu Boden gleiten.
Stille fiel über die Galerie. Niemand bewegte sich. Niemand wagte es, noch zu sprechen. Chloe begann zu lächeln. So staubbedeckt, wie er war, sah er wirklich wie ein Geist aus, der eben dem Grab entstiegen war.
Dann fiel Dominics spöttischer Blick auf Chloes Gesicht, und das reine Feuer der Leidenschaft flackerte in seinen entschlossenen grauen Augen auf. Sie war sich nicht einmal der Tatsache bewusst, dass sie sich bewegte, dass sie auf ihn zuging. Er war zurückgekehrt. Er hatte sein Wort gehalten, und plötzlich war alles auf der Welt wieder gut. Wilde, reinigende Freude stieg in ihr auf.
Plötzlich mussten neue Probleme bewältigt und Konsequenzen überdacht werden. Sie hielt an.
Wenn sie zu ihm ging, würden es alle wissen, würden alle erkennen, dass sie eine Liebesbeziehung hatten. Und dass die kokette junge Dame aus
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