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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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schweigend, aber sie hielten sich an den
Händen, und Michael dachte an Megans Idee vom gemeinsamen Herzschlag. Jetzt
gerade waren sie ganz bestimmt synchron.
    Â»Common heartbeat«, sagte er in der Drehtür des Hotels, und sie
lächelte nur und deutete die winzige Verneigung an.
    Im Zimmer sah sie sich um und sagte mit ehrfürchtiger Ironie: »This
is how a free man travels.« Dann löschte sie das Licht wieder, das er eben
angeschaltet hatte, zog die Vorhänge auf, die er eben zugezogen hatte, legte
erst dann ihren Geigenkasten auf die Kommode und küsste ihn im fahlen Licht der
Straßenlaternen.
    Sie war eine scheue Liebhaberin, überließ Michael die Initiative und
passte sich ihm an. Sie erinnerte ihn an die ersten Erlebnisse, bei denen
Missionarsstellung und Schüchternheit dominiert hatten, aber es war anders.
Hier war niemand unbeholfen oder mit den Gedanken woanders, nur die Rollen
waren klar verteilt. Er war der Impulsgeber, und sie überließ sich seinen
Bewegungen, nahm sie auf, machte sie zu ihren eigenen, und ob es der gemeinsame
Herzschlag war oder etwas anderes: Sie kamen gleichzeitig beim ersten Mal in
dieser Nacht.
    Nach dem dritten Mal, nachdem sie immer wieder eine Weile geschlafen
und dazwischen die Minibar fast leer getrunken und gegessen hatten, wurde
Michael auf einmal klar, dass er die Nacht über weder an Roisin noch an Erin
gedacht hatte. Er war anwesend gewesen. Hier und jetzt mit Megan und niemandem
sonst. Und er war müde und zufrieden, fühlte sich vertraut und aufgenommen und
wünschte sich, dieser Moment bliebe erhalten. Aber er war schon vorbei –
draußen sangen die Vögel, und von der Main Street hörte man das Rauschen des
ersten Verkehrs.
    Er wachte vom Klopfen des Zimmermädchens auf, kurz vor zehn, und
Megan war verschwunden. Auf der Kommode lag ein Zettel:
    Good bye and good luck, free man. I will remember
you. M.
    ~
    Das Feuerwerk dauerte eine ganze Stunde und war
durchkomponiert bis zur letzten gleißenden Dolde. Michael teilte seinen Wein
mit dem Pärchen, sie ließen das Glas herumgehen und nickten einander schweigend
zu. Als die beiden sich auf den Weg machten, blieb Michael noch eine Zeit lang
sitzen, er hoffte, es würden sich genügend Leute vom Zattere-Ufer nach Hause
aufmachen, sodass er dort noch das Ablegen der Boote in Richtung Lido
mitansehen konnte. Bei Sonnenaufgang würden sie dann wieder zurückkommen zur
feierlichen Eröffnung der Pontonbrücke durch einen Priester.
    Er ging den kurzen Weg auf die andere Seite, fand einen Platz und
sah sich die Prozession der Boote an, die sich zu einem glitzernden Pulk zu
verdichten schienen, aber das lag nur an der Perspektive. Sie bildeten eine
Schlange.
    Kurz nach zwei kam er nach Hause, noch immer den Schwefelgeruch des
Feuerwerks in der Nase, der über der Stadt lag, und noch immer das Lied im
Kopf, das ihn den ganzen Weg über begleitet hatte, einen Walzer: Goodbye and good luck, I’ll remember you, if you ever come back,
I’ll be here, may summers and winters go passing through, I’ll wait at the end
of the pier. Den hatte er in Berlin geschrieben, in der Wohnung am
Olivaer Platz, die noch leer war, ohne Möbel, nur mit einer Matratze
ausgestattet, in der ersten Nacht nach seinem Einzug, eine Woche nachdem er aus
Irland gekommen war.
    ~
    Noch im Hotel in Dingle hatte er Ian angerufen und ihn auf
eine Geigerin namens Megan aufmerksam gemacht, die soeben mit zwei anderen
Frauen den Wettbewerb gewonnen hatte. Dann war er ohne Frühstück ins Auto
gestiegen.
    Eigentlich hatte er noch den Ring of Kerry abfahren wollen, aber er
lenkte den Vauxhall in Richtung Galway, noch bevor ihm so richtig klar geworden
war, dass er den Höhepunkt seiner Fahrt in dieser Nacht schon erlebt hatte,
dass er sich kein weiteres Ziel mehr vorstellen konnte, nur noch den Rückweg.
Und später auf der Fahrt entschied er sich, kein weiteres Jahr mehr
hierzubleiben – er wollte zurück nach Deutschland. Als freier Mann. Als
Songschreiber. Nach Berlin.
    Er verschenkte seine wenigen Habseligkeiten und reiste eine Woche
später, nur mit den neu gekauften Kleidern und seiner Mandoline im Gepäck. Die
Gitarre und das Casio-Keyboard hatte er schon in München verkauft, weil es nur
darum gegangen war, in Irland zu sein, nah bei Erin, er hatte nicht geglaubt,
dass ihm weiterhin Songs einfallen würden. Jetzt glaubte er das wieder, denn Goodbye

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