Vier Frauen und ein Mord
getan?«
»Die Geschworenen meinten, ja. Aber es ist schon vorgekommen, dass Geschworene sich geirrt haben.«
»Dann hat sie in Wirklichkeit also jemand anderer getötet?«
»Das ist möglich.«
Sie fragte plötzlich: »Wer?«
»Das«, erwiderte Poirot leise, »ist eben die Frage.«
»Ich verstehe das Ganze nicht.«
»Nein? Aber über Mrs McGinty können Sie mir doch etwas erzählen, nicht wahr?«
Sie sagte ziemlich widerstrebend:
»Ich glaube schon… Was wollen Sie wissen?«
»Nun, um damit anzufangen: Was haben Sie von ihr gehalten?«
»Also, eigentlich nichts Besonderes. Sie war genau wie alle anderen Leute.«
»Geschwätzig oder schweigsam? Neugierig oder zurückhaltend? Freundlich oder mürrisch? Eine ehrbare Frau oder eine – nicht ganz ehrbare Frau?«
Miss Henderson dachte nach.
»Sie hat gut gearbeitet – aber sie hat viel geredet. Manchmal sagte sie ganz komische Dinge… Ich habe sie nicht besonders gemocht.«
Die Tür öffnete sich, und die ausländische Hausgehilfin sagte:
»Miss Deirdre. Ihr Mutter sagen: Bitte zu bringen.«
»Meine Mutter möchte, dass ich diesen Herrn hinaufführe?«
»Ja bitte, danke.«
Deirdre Henderson sah Poirot zweifelnd an.
»Möchten Sie meine Mutter sprechen?«
»Aber gern.«
Deirdre führte ihn durch die Halle und die Treppe hinauf.
Das Zimmer im ersten Stock war voll von Nippes. Es war das Zimmer einer Frau, die viel gereist war und überall, wo sie gewesen war, Andenken gekauft hatte. Es standen so viele Sofas und Tische und Stühle im Zimmer, und es gab zu wenig Luft und zu wenig Vorhänge – und mitten darin Mrs Wetherby.
Mrs Wetherby sah klein aus – eine Mitleid erregende kleine Frau in einem großen Zimmer. So wirkte sie. Aber in Wahrheit war sie nicht ganz so klein, wie sie zu erscheinen beschlossen hatte. Der »Ach-ich-arme-Kleine-Typ« kann seine Ziele ganz gut erreichen, selbst wenn er mittelgroß ist.
Sie lehnte sehr behaglich auf einem Sofa, neben sich ein Buch, ein Strickzeug, ein Glas Orangensaft und eine Schachtel Pralinen. Sie sagte vergnügt:
»Sie müssen mir verzeihen, dass ich nicht aufstehe, aber mein Arzt besteht darauf, dass ich jeden Tag ruhe, und alle schelten mich, wenn ich nicht tue, was er mir gesagt hat.«
Poirot nahm ihre Hand und beugte sich mit dem entsprechenden Murmeln der Ehrerbietung darüber.
Hinter ihm ließ Deirdre undiplomatisch verlauten: »Er will was über Mrs McGinty wissen.«
Die zarte Hand, die schlaff in der seinen gelegen hatte, spannte sich, und einen Augenblick lang dachte Poirot an die Krallen eines Vogels. Kein zartes Stück Meißener Porzellan – eine kratzende Raubvogelklaue…
Leicht auflachend sagte Mrs Wetherby:
»Wer ist Mrs McGinty?«
»Ach, das weißt du doch. Sie hat für uns gearbeitet. Du weißt doch, die, die ermordet wurde.«
Mrs Wetherby schloss die Augen und erschauerte.
»Nicht, Liebes. Es war alles so schrecklich. Wochenlang bin ich nervös gewesen. Die arme, alte Frau, aber wie dumm, sein Geld unter dem Fußboden aufzubewahren. Sie hätte es auf die Bank bringen sollen. Natürlich erinnere ich mich an das alles – ich hatte nur ihren Namen vergessen.«
Deirdre sagte langsam:
»Er will was über sie wissen.«
»Aber bitte, setzen Sie sich doch, Monsieur Poirot. Die Neugier verzehrt mich geradezu. Mrs Rendell rief mich eben an und sagte, wir hätten einen sehr berühmten Kriminalisten hier, und sie beschrieb mir Sie. Und als diese Idiotin Frieda einen Besuch ankündigte, war ich sicher, dass Sie es waren. Darum habe ich Sie auch heraufbitten lassen. Nun sagen Sie mir, was bedeutet das alles?«
»Wie Ihre Tochter schon sagte, möchte ich etwas über Mrs McGinty wissen. Sie hat hier gearbeitet. Wie ich gehört habe, ist sie immer am Mittwoch zu Ihnen gekommen. Und an einem Mittwoch ist sie gestorben. So war sie an dem Tag doch noch hier gewesen, nicht wahr?«
»Ich denke schon. Ja, ich denke schon. Ich kann es Ihnen jetzt wirklich nicht mehr sagen. Es ist so lange her.«
»Ja. Mehrere Monate. Und sie hat an dem Tag nichts gesagt? Nichts Besonderes?«
»Diese Art von Leuten redet immer viel«, erwiderte Mrs Wetherby indigniert. »Man hört nicht wirklich zu. Und auf keinen Fall konnte sie erzählen, dass man sie am Abend berauben und umbringen würde, nicht wahr?«
»Es gibt Ursache und Wirkung«, gab Poirot zu bedenken.
Mrs Wetherby runzelte die Stirn.
»Ich weiß nicht, was Sie damit meinen.«
»Vielleicht weiß ich es selbst noch nicht. Man arbeitet sich
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