Viereinhalb Wochen
gefreut, Deine Strampelbeinchen zu streicheln, Dein Gesicht zu küssen und Dich in meinen Armen in den Schlaf zu wiegen, Dich zu trösten und Dir so vieles über diese Welt zu erzählen.
Aber ich weiß jetzt, ich werde nicht das Glück haben, das alles für Dich zu tun und mich mit Dir auf alles Neue in Deinem Leben zu freuen.
Eines ist Dir aber sicher, ich vermisse Dich jetzt schon sehr und für immer, aber vergessen werde ich Dich nie. Du bleibst und lebst für immer in meinem Herzen, Du mein kleiner Enkelsohn.
Und wenn ich in den Himmel schaue, dann weiß ich, dass Du in den guten Händen bist. Schlafe in ewiger Ruhe.
Ich verabschiede mich in tiefer Trauer von Dir, mein kleiner Enkelsohn.
Deine Dich liebende, untröstliche Oma.
Am Sonntag fuhren wir zum Friedhof, auf dem Julius liegen sollte, und trafen dort Kathrin. Sie hatte ich über einen Abreißzettel kontaktiert, den sie dort angeklebt hatte – falls jemand Hilfe benötigen sollte von Sternenmutter zu Sternenmutter, und diese Hilfe brauchte ich. Kathrins Lilly war vor zwei Jahren gestorben, kurz nach der Geburt, ebenso wie Julius mit einer infausten Diagnose, mit einer Krankheit, die nicht vereinbar war mit dem Leben.
Kathrin war zwei Jahre weiter auf ihrem persönlichen Trauerpfad, und sie konnte uns gut helfen. Wir trafen uns im Café
finovo,
das direkt auf dem Gelände lag. Zuerst musste ich staunen – einen Friedhof mit Kaffeehaus hatte ich noch nie gesehen, so ein Café aber auch noch nicht: Es war im ehemaligen Haus des Totengräbers untergebracht, hatte aber so gar nichts Unheimliches oder Trauriges an sich, sondern war so gemütlich und vertraut wie ein lange schon benutztes Wohnzimmer. Es gab selbstgebackene Torten und Vogelgezwitscher auf der Terrasse. Wir erfuhren, dass engagierte Menschen das Café und einen Kulturverein betreiben, um den uralten, historischen Friedhof zu erhalten und ihn mit neuem Leben wie Lesungen oder Konzerten zu erfüllen. Es klingt vielleicht merkwürdig, aber im Gegensatz zu unserem ersten Besuch auf diesem Friedhof fühlten wir uns diesmal fast wohl, auf seltsame Art geborgen. Wir sagten Kathrin, dass wir unseren Sohn hier in zwei Tagen begraben würden.
»Wie macht ihr das denn?«, fragte sie neugierig.
Wir stutzten, weil wir uns über die Einzelheiten noch nicht groß Gedanken gemacht hatten. Wir wussten nur, dass wir unter uns sein wollten, mit unseren Eltern, Geschwistern und den beiden engsten Freundinnen von mir. Wir wussten, dass wir keinen Pastor wollten, keine Reden, keinen Pomp, keine Kränze. Wir hatten gedacht, dass wir eine Gitarre mitnehmen würden, um vielleicht etwas zu spielen, wenn uns danach wäre. Vielleicht würden wir auch aus der Bibel lesen, am Grab. Aber sonst?
»Wir würden wohl erst in der Kapelle zusammenkommen«, sagte ich, »am offenen Sarg, damit alle Julius kennenlernen können.«
»Nicht in die Kapelle! Seid ihr wahnsinnig?«, sprudelte es aus Kathrin heraus. »Die Riesenkapelle, und da das winzige Kind rein … Macht das doch im Café! So habe ich es mit Lilly auch gemacht.«
»Wie bitte, im Café?«
Eine Aufbahrung in einem Kaffeehaus – davon hatte ich noch nie gehört. Natürlich hatten wir die Kapelle schon von außen beäugt, eine streng aussehende, klassizistische Aufbahrungshalle mit italienischem Touch, die aus dem 19 . Jahrhundert stammte – freilich nicht unser Fall, aber gab es eine andere Wahl?
»Ja, klar, der Bernd macht das. Oberhalb des Cafés gibt es einen Raum für Trauerfeiern, dort sieht es aus wie in Omas Stube …«
»Ist das denn erlaubt, dort?«
»Fragt einfach den Bernd, er wird euch alles erklären.«
Wir machten das umgehend und waren verwundert: Bernd war nicht nur der Betreiber des Cafés, er war auch Bestatter, Schauspieler, Aktivist für die Erhaltung des Friedhofs und überdies ein sehr feinfühliger Mensch, der großes Verständnis für die Bedürfnisse von Trauernden hatte. Wir kamen sofort überein, dass er die oberen Räume für uns reservieren würde, für unsere Verabschiedung von Julius, während unten normaler Cafébetrieb stattfinden würde. Wir hätten nicht gedacht, dass es möglich wäre, mit so viel Selbstverständlichkeit und Normalität über das Abschiednehmen von einem Toten zu sprechen. Ohne Aufhebens, ohne Trauergetue und doch voller Anteilnahme und Ernsthaftigkeit. Wir sahen uns darin bestätigt, hier den richtigen Platz für Julius gefunden zu haben.
Abends schickten wir eine E-Mail an alle Beteiligten, um
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