Vilja und die Räuber: Roman (German Edition)
Predigt. » Du hast sie mit Absicht auf die Palme gebracht. Karli, gib es zu, groß wie du bist!«
Sie schaute kurz zu mir her und zwinkerte mir zu. Dieses kleine Kräftemessen mit ihrem Bruder schien ihr Spaß zu machen.
» Nein, ich gebe nichts zu«, sagte der Wilde Karlo wütend. » Hör auf, Kaija! Du verstehst das nicht! Räuber mit Selbstachtung benehmen sich nicht so. Nicht die Räuber, die ich kenne!«
Der Wilde Karlo setzte sich in die offene Seitentür auf den Boden des Räuberbusses und ließ den Kopf hängen. Kaija stand ratlos daneben. Sie hatte versucht, ihren Bruder aufzumuntern, aber sie hatte die Situation völlig falsch eingeschätzt.
» Räuber fordern nicht Beute von anderen Räubern ein. Räuber verfolgen nicht andere Räuber. Das macht doch alles überhaupt keinen Sinn.«
Der Wilde Karlo ließ den Kopf in die Hände sinken. Seine Zöpfe hingen traurig herab.
» Boss, ich verstehe dich«, sagte Gold-Piet und hockte sich neben ihn. » Ich hatte von Anfang an so ein Gefühl, dass irgendwas nicht in Ordnung ist.«
» Uns zu verfolgen, als ob wir Wildfremde wären«, schluchzte der Wilde Karlo. » Das macht man einfach nicht in einer Welt, wo es noch Landstraßen gibt und Freiheit und gewisse Manieren!«
» Könnte man wohl mal eine Plane bekommen?«, sagte Hilda.
» In der Garage ist bestimmt eine«, meinte Hele, und wir gingen los, um das Garagentor aufzumachen. Es war offensichtlich, dass der Wilde Karlo jetzt allein sein musste.
Als wir die Plane befestigt hatten, kochte Kaija uns Kakao und stellte Kuchen auf den Tisch. Das Sommerfest schien wie ein ferner Traum. Der Wilde Karlo schlürfte ein paar Schlucke Kakao und kündigte an, sich jetzt schlafen legen zu wollen.
» Mein Brüderchen geht immer schlafen, wenn er es schwer hat«, sagte Kaija. » Der war schon als Kind so.«
» Ich gehe mit«, sagte Hilda leise. » Ihr kommt hier unten bestimmt zurecht?«
Kaija sagte, wir dürften tun, was wir wollten, solange wir keinen Krach machten. Sie selbst wollte den Streit zwischen Joni von Hiidendorf und der hinterhältigen Rothaarigen fertig bekommen, jene Szene, in der schließlich auch der gutgläubige Held die Intrigen der Frau durchschaut. Kaija begann, Dialogzeilen vor sich hinzumurmeln und schloss sich im Wohnzimmer ein, wo bald das Klappern der Tastatur zu hören war.
Ich blieb in der Küche sitzen und versuchte, die Situation auf Papier zusammenzufassen. Es war das erste Mal, dass es mir schwerfiel, etwas aufzuschreiben.
ANALYSE DER SITUATION DER RÄUBERBERGS
Aufgeschrieben von Vilja
1) Das Sommerfest wurde abgebrochen, als sich in einem Pappkarton, der im Räuberbus gewesen war, eine große Menge Geld fand.
2) Das Geld der Räuberbergs ist in einem verlassenen Haus gefunden worden und hat keinen rechtmäßigen Besitzer – bzw. ist der Besitzer nicht bekannt.
3) Die anderen Räuberbanden forderten einen Anteil am Schatz der Räuberbergs, was ihnen verweigert wurde.
4) Mögliche Gründe für diese Forderung:
– Die anderen Räuber sind ärmer als die Räuberbergs und möchten Geld für den Herbst und den Winter haben.
– Die Art und Weise, wie die Räuberbergs ihr Geld aufwirbeln ließen, sah aus wie Prahlerei; die Forderung nach Anteilen soll eine Strafe dafür sein.
– Das Geldversteck, das die Räuberbergs in dem verlassenen Haus gefunden hatten, gehörte einer anderen Räuberbande!!!
5) Ergebnis: Das Gezänk wurde zum handfesten Streit zwischen den Räuberbergs und den anderen Straßenräubern.
6) Daraus folgte eine Verfolgungsjagd.
7) Die Flucht vor den Verfolgern glückte:
– weil das Zusammenpacken dank effektiven Trainings äußerst schnell durchgeführt wurde.
– dank Hildas fantastischer Fahrkünste.
– dank Kalles Markenzeichen: Er hatte mit dem Messer die Reifen der anderen Fahrzeuge beschädigt, sodass die Verfolger nicht losfahren konnten.
8) Während des Streites oder danach hat jemand die Polizei alarmiert und zum Sommerfestplatz geschickt.
9) Eine oder mehrere Räuberbanden sind möglicherweise geschnappt worden, da sie mit ihren Bussen nicht fliehen konnten.
10) Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die anderen Räubersippen den Räuberbergs die Schuld für dieses Geschnapptwerden geben!!!
» Wisst ihr was? Ihr braucht euch wohl keine Sorgen darüber zu machen, ob ihr nächstes Jahr zum Sommerfest könnt«, sagte ich und hob den Blick von meinen Notizen. » Ich glaube nämlich, dass es nächstes Jahr kein Sommerfest mehr
Weitere Kostenlose Bücher