Virgil Flowers 03 - Bittere Suehne
Wal-Mart. Die Sorge um seine Frau war ihm deutlich anzusehen. Er saß auf dem Flur vor der Intensivstation auf einem Metall-Plastik-Stuhl; Sanders hockte neben ihm, eine Hand auf seiner Schulter. Als Virgil sich ihnen näherte, erhob sich Sanders und stellte ihn vor.
»Virgil: James Washington, Jans Mann.«
Virgil schüttelte Washington die Hand. »Die Sache mit Ihrer Frau tut uns leid, Mr Washington. Wie geht es ihr?«
»Sie ist schwer verletzt.«
»Einer unser Ermittler spricht gerade mit ihr; sie ist ziemlich benommen«, erklärte Sanders.
»Ich höre mir das an …«, sagte Virgil und wandte sich der Tür zu. »Mapes hat mich über die.223er-Patronenhülse informiert. Wie weit war der Schütze von der Stelle entfernt, an der Mrs Washington zu Boden ging?«
»Zweihundertvierundvierzig Meter«, antwortete Sanders.
»Und zu dem Zeitpunkt fuhr sie auf ihrem Rad?«
»Ja …«
Jenkins und Shrake hatten recht gehabt, dachte Virgil. Der Schütze wollte angeben oder etwas beweisen … oder konnte einfach nur sehr, sehr gut mit einem Gewehr umgehen.
Jan Washington lag auf dem Rücken, den Kopf ein wenig nach vorn geneigt, die Augen geschlossen. Die Verbindungskabel zu den Monitoren verloren sich unter ihrem Krankenhaushemd, Infusionskanülen steckten in ihren Armen, und in einem Plastikbeutel auf einer Seite des Betts sammelte sich ihr Urin.
Der Polizist, der sie befragte, hob den Kopf, als Virgil eintrat und sich vorstellte: »SKA, Virgil Flowers.«
Der Beamte nickte. »Sie ist immer nur kurz bei Bewusstsein.«
»Hat sie eine Ahnung, warum das passiert ist?«
Der Polizist schüttelte den Kopf. »Nein.«
Ohne die Augen zu öffnen sagte Jan Washington mit rauer Stimme: »Ich höre Sie.«
»Viel mehr Fragen fallen mir nicht ein«, teilte der Kollege Virgil mit. »Wenn Sie übernehmen wollen …«
»Mrs Washington, ich bin von der Staatspolizei. Hat der Deputy Ihnen gesagt, dass der Mann, der auf Sie geschossen hat, unserer Meinung nach der Mörder von Erica McDill ist, die im Eagle Nest getötet wurde?«
Erst einmal keine Reaktion, dann ein kurzes Nicken und schließlich stockend: »Ja … Ich weiß nicht … warum.«
Ihres Wissens bestehe zwischen ihr selbst und Erica McDill keine Verbindung – nicht einmal ihr Name sage ihr etwas – und zum Eagle Nest lediglich eine sehr lose, obwohl sie Margery Stanhope von einem Gartenclub kenne. Wendy und andere Bandmitglieder, mit denen sie nie gesprochen habe, würde sie auf der Straße erkennen, und von Slibe Ashbach und seiner Frau wisse sie aus der Zeit von vor zwanzig Jahren.
»Standen sie einander nahe? Haben Sie sich mit ihnen gestritten?«
»Nein, nein. Ich habe eine Weile für den Bezirk gearbeitet, in der Zulassungsstelle; Maria Ashbach kam oft zu uns. Wir waren nicht befreundet oder so, haben nur einfach miteinander geplaudert, wenn sie da war. Nachdem sie durchgebrannt ist, habe ich nichts mehr von ihr gehört.«
»Mrs Washington, fuhren Sie, als Sie angeschossen wurden, schnell oder langsam?«
»Keine Ahnung, wann genau ich angeschossen wurde, aber ich schätze, ich war mit meiner üblichen Geschwindigkeit unterwegs, mit zwanzig Stundenkilometern.«
»Zwanzig Stundenkilometer. Woher wissen Sie das?«
»Ich habe einen Tacho am Lenker.«
Zwanzig Stundenkilometer, zweihundertvierundvierzig Meter: was für ein Schuss. Der Schütze kannte seine Fähigkeiten. Doch da war noch ein anderer Gedanke, der sich Virgil entzog …
»Mrs Washington, es tut mir leid, dass ich Sie das in Ihrem gegenwärtigen Zustand fragen muss, aber es geht nicht anders …«
»Ich habe keine Affäre«, sagte sie sofort. »Und James auch nicht.«
Der Polizist grinste Virgil an. »Das Thema haben wir schon abgehakt.«
»Okay. Ich habe beruflich viel mit Verletzten zu tun und kann Ihnen versichern, dass Sie sich erholen werden. Die Ärzte hier sorgen dafür, dass Sie sich wieder so gut wie neu fühlen.«
Sie nickte. Wenige Sekunden später verlor sie erneut das Bewusstsein.
Draußen auf dem Flur unterhielt sich Virgil mit ihrem Mann und entschuldigte sich auch bei ihm dafür, dass er ihn nach einem eventuellen Seitensprung fragen musste.
»Nein«, erklärte James Washington, »ich habe nichts mit einer anderen. Warum interessiert das alle?«
»Weil wir immer als Erstes den Ehemann unter die Lupe nehmen. In den meisten Fällen ist er es. Bei Ihnen glauben wir das zwar nicht, aber wir müssen trotzdem Druck machen, damit Sie uns nicht zum Narren halten. Wenn Sie
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