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Voellig durchgeknallt

Voellig durchgeknallt

Titel: Voellig durchgeknallt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Kennen
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aufgerafft, mich zu besuchen? Ich trete ein. Die Gefangenen müssen sich an Tische setzen, ihrem Besuch gegenüber. Es ist ein großer Raum mit riesigen Fenstern und zwischen den Tischen gehen Wärter auf und ab. Ich schaue die Gesichterreihen entlang, erkenne aber niemanden. Allmählich komme ich mir blöd vor. Es ist bestimmt eine Verwechslung. Mich kommt keiner besuchen. Aber dann sehe ich sie an einem Tisch neben dem Automaten sitzen. Mit ihrem blauen Kostüm und den hochhackigen Schuhen sieht sie völlig fehl am Platz aus.
    »Na, fängst du Fliegen?«, fragt Oma. Sie guckt tückisch. Und als ich vor dem Tisch stehe, steht sie auf und scheuert mir eine. Das Klatschen hallt im ganzen Raum wider und ein paar Leute johlen. Alle gaffen mich an. Francesca schaut zu uns rüber, mustert Oma und beugt sich wieder über ihr Klemmbrett. Ich bin ein bisschen erschrocken. Das war eine ziemlich feste Ohrfeige für so ’ne alte Schachtel.
    »Mein eigener Enkel – im Knast!«, sagt sie und setzt sich |131| wieder. »Du solltest mal hören, wie die im Club sich die Mäuler zerreißen. Diese Schande!«
    Ich halte mir die Backe. Aus irgendeinem Grund könnte ich zu heulen anfangen. Ach du Scheiße, ich werd ein Weichei! Da kann ich mich genauso gut umbringen.
    »Schön, dass du da bist, Oma«, sage ich so fröhlich wie möglich. Aber mir bleibt die Stimme weg, wie es mir schon seit Jahren nicht mehr passiert ist. (Na ja, seit mindestens anderthalb Jahren nicht mehr.)
    Aber dann beugt sich Oma vor und umarmt mich und ich schaue auf ihre steifen weißblonden Haare runter.
    »Übertreib’s nicht, Oma«, sage ich, aber es tut mir gut. Ich mache mich los und setze mich.
    »Pommes«, stellt Oma fest. »Du riechst nach Pommes.«
    »Und du riechst nach Schnaps, Oma. Was mich nicht überrascht.«
    »Frecher Bengel.« Sie scheuert mir wieder eine, aber diesmal ist es nur angedeutet und tut nicht weh.
    Als unser kleiner Gefühlsausbruch vorüber ist, sind wir wieder auf der Spur. Ich geb zu, ich freu mich total, sie zu sehen. Ich dachte, sie ist ein für alle Mal fertig mit mir.
    »Wie geht’s Mum?«, frage ich beiläufig.
    »Sie nimmt an einem Lehrerkurs teil.« Oma rümpft die Nase.
    Hurra! Kein Wort von Lenny. Andererseits   … ein Lehrerkurs? Die Kids zerreißen sie doch in der Luft, kaum dass sie fünf Minuten in der Klasse ist! Anscheinend hab ich mir was vorgemacht. Sie wird nicht gesund, sie dreht endgültig durch.
    |132| »Sie will Erwachsene unterrichten«, erklärt Oma. »Östliche Religionen und Philosophie oder so.«
    Ich nicke. Das klingt schon eher nach Mum.
    »Außerdem hat sie jemanden kennengelernt.« Oma flüstert durchdringend.
    Scheiße.
    »Er heißt Henry.«
    Oma runzelt die Stirn über das Paar am Nebentisch, das dazu übergegangen ist, sich gegenseitig die Zunge bis zum Anschlag in den Mund zu stecken.
    »Er ist vierzig und grade aus Amerika wiedergekommen.«
    Er ist es.
    »Sie sind schon zweimal ausgegangen«, berichtet Oma. »Einmal ins Gartencenter und einmal zum Essen.« Sie richtet sich die Frisur.
    »Wie hat sie ihn denn kennengelernt?«, frage ich unschuldig. »Auch über eine Partnervermittlung?«
    Oma zuckt die Achseln. »Frag mich nicht.«
    »Was hältst du von ihm?«
    Oma zuckt die Achseln. »Ist halt ein Mann.«
    Um uns rum fangen die Leute an, sich zu verabschieden. Bloß der Typ am Nebentisch knutscht immer noch mit seiner Freundin. Jede Wette, dass dabei einiges von Mund zu Mund wandert. Und so ausgiebig, wie sie ihre Knutscherei betreiben, kann er mit dem Stoff den ganzen Knast einen Monat lang versorgen.
    »Er war krank«, sagt Oma. »Wie deine Mutter.«
    Ich muss irgendwie komisch geguckt haben.
    |133| »Nein, nein, nicht im Kopf«, beruhigt sie mich. »Er hat irgendeine Krankheit gehabt, wegen der er jahrelang nicht vor die Tür konnte. Seine Haut ist irgendwie überempfindlich gegen Sonnenlicht. Er ist käseweiß. Wie eine Leiche.«
    Er ist es. Eindeutig.
    Es klingelt. Die offizielle Besuchszeit ist vorbei und der Raum leert sich rasch. Als könnten es die Besucher nicht erwarten, wieder zu verschwinden. Was man ihnen nicht verdenken kann.
    »Hör mal, Oma«, es brennt mir unter den Nägeln, »du musst Mum die Wahrheit über ihn erzählen.«
    »Wie bitte?« Oma steht auf und hängt sich die Handtasche über die Schulter.
    »Wir haben uns geschrieben. Mit richtigem Namen heißt er Lenny Darling. Er wurde grade erst aus der Todeszelle entlassen.«
    Es sprudelt nur so aus mir heraus. Die Wärter

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