Voll erwischt
warf ihn aufs Bett und sah die Hemdenschublade des Mannes durch. Er nahm zwei gute heraus, eines mit kurzen Ärmeln und eines mit Taschen im gleichen Blau wie der Anzug. Dann fand er ein Paar unbenutzter neuer Socken. Schließlich brachte er alles runter in den Benz, wobei er nur noch einmal kurz ins Wohnzimmer sprang, um den Rest des ausgezeichneten Malt mitzunehmen.
Norman fuhr nach York zurück und parkte hinter dem Bahnhof. Er legte seine neue Garderobe in einen der Koffer und schleppte alle vier zum Bahnhofshotel. Sie waren schwer, und so mußte er alle paar Meter stehenbleiben, um sie abzustellen und seinen Arm eine kleine Pause zu gönnen. Am Hoteleingang kamen ihm zwei Gepäckträger zu Hilfe, und Norman ging zur Rezeption und fragte nach einem Zimmer.
Einen Moment schienen sie ihm kein Zimmer geben zu wollen, weil er keine Reservierung hatte. Aber dann überlegten sie es sich anders, und einer der Pagen sowie ein junger Bursche brachten ihn zu einem Zimmer im zweiten Stock.
Das Zimmer hatte Dusche und Farbfernseher, den Norman sofort einschaltete. Er streckte sich auf dem Bett aus. Nach ein oder zwei Minuten schraubte er den Verschluß des Malt ab und gönnte sich einen kräftigen Schluck direkt aus der Flasche. Er behielt die Flüssigkeit im Mund, damit er wieder dieses wärmende Gefühl bekam, und ließ den Whisky ganz langsam die Kehle hinuntertröpfeln, als das stechende Kribbeln auf der Zunge einsetzte.
Kapitel 11
Um sechs Uhr morgens war Sam aufgestanden und irrte in der Wohnung herum. Geordie war die vergangene Nacht nicht nach $ Hause gekommen, also hatte Sam den Abend mit Geordies Hund Barney verbracht, ein bißchen Musik gehört und schließlich ein Buch gelesen, das Celia ihm geliehen hatte. Remains of the Day von Kazuo Ishiguro. Das Buch hatte ihn verwirrt. Er konnte sich nicht mit den Romanfiguren identifizieren, die in einer anderen Zeit angesiedelt waren und einer Gesellschaftsschicht angehörten, von der Sam nichts verstand. Dennoch enthielt das Buch Passagen, die Erinnerungen an eigene Erfahrungen wachriefen. Nichts Konkretes, nichts, wobei er eindeutig sagen konnte: Ja, an so eine Zeit erinnere ich mich auch. Es war vielmehr etwas wie ein Nachklang, Echos, die sich die ganze Nacht über hielten, so daß er unruhig schlief und beim ersten Tageslicht mit offenen Augen ins Zwielicht starrte. Mit aufgerissenen Augen und einem Mund, der sich wie ein Campingplatz anfühlte.
Barney wußte nicht, was eine Uhr war. Ungeachtet der tatsächlichen Uhrzeit schlief er in seinem Korb, bis irgendwer aufstand und erfand, es sei Zeit fürs Frühstück. Normalerweise lag er damit richtig.
Um sieben waren beide im Büro. Barney rollte sich in seinem Bürokorb zusammen, und Sam schaute auf den Platz hinaus, wobei er sich fragte, warum er nicht zu Hause auf Geordie gewartet hatte, dann mit ihm frühstückte und den Tag langsam anging. Das einzige, was dieser Tag verhieß, war Mr. Norman Brown, der mit hundert Mäusen antrabte. Und es würde wieder knallheiß werden. Kein Wölkchen am Himmel.
Wann immer ein Schritt auf der Treppe zu hören war oder die Haustür geöffnet wurde, hob Barney den Kopf und schaute zur Bürotür. «Geordie ist auf Freiersfüßen», erklärte Sam dann. «Hat sich frei genommen. Wir beide sind auf uns allein gestellt.»
Der Hund sah Sam an, als verstünde er das schon - aber besser fühlte er sich deshalb auch nicht. Er war es nicht gewohnt, ohne seinen Freund zu sein.
Sam war schon immer allein gewesen. Mal abgesehen von der Zeit mit Donna und einem kurzen Intermezzo mit Brenda, seiner zweiten Frau. Kurz? Ja, ungefähr achtundvierzig Stunden, soweit er sich erinnerte. Achtundvierzig Stunden, bis ihnen beiden klarwurde, daß sie einen schrecklichen Fehler gemacht hatten.
Dann hatte es andere Frauen gegeben. Manche schienen eine Weile wichtig zu sein, aber im Rückblick fehlte doch immer irgend etwas. Sam konnte sich nicht mehr an ihren Namen erinnern oder hatte vergessen, wie sie aussahen. Bei anderen konnte er sich an absolut gar nichts erinnern, was sie sich gesagt hatten. Vor einigen Jahren gab es mal eine gewisse Samantha. Nenn mich Sam. Ein, zwei Monate schien es tatsächlich eine heiße Sache zu sein, er konnte an gar nichts anderes mehr denken, als nur mit Sam zusammenzusein. Als er aber jetzt versuchte, sich noch einmal genau an sie zu erinnern, war’s das auch schon. Er konnte sich an keine einzige Unterhaltung erinnern, die sie einmal geführt hatten. Er
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