Vor aller Augen
sammelten Monnie und ich alle Informationen, die wir über die Russenmafia, besonders über Pasha Sorokin, auftreiben konnten.
Später am Nachmittag musste ich weg. Der Zeitpunkt hätte kaum schlechter gewählt sein können, aber einen wirklich
guten hätte es in dieser Angelegenheit ohnehin nicht gegeben. Ich war aufgefordert worden, mich mit Christine Johnsons Anwälten im Blake Building in der Nähe vom Dupont Circle zu treffen. Christine forderte Klein Alex.
Ich traf kurz vor fünf ein und musste gegen die Flut der Büroangestellten ankämpfen, die aus dem ungewöhnlichen zwölfgeschossigen Gebäude strömten, das die Ecke einnahm, wo die Connecticut Avenue auf die L-Street traf. Ich überflog die Firmenliste in der Eingangshalle und las Namen wie Mazda, Barronâs, National Safety Council und die etlichen Anwaltskanzleien, darunter auch Mark, Haranzo und Denyeau.
Ich ging zu den Aufzügen und drückte auf den Knopf. Christine wollte das Sorgerecht für Alex junior. Ihr Anwalt hatte dieses Treffen in der Erwartung arrangiert, dass wir die Angelegenheit regeln könnten, ohne vor Gericht zu gehen. Ich hatte morgens mit meinem Anwalt gesprochen und beschlossen, ihn nicht dazuzubitten, da es sich um ein »informelles« Treffen handelte. Als ich im Lift in den sechsten Stock fuhr, bemühte ich mich, nur einen Gedanken zu haben: Tu, was das Beste für Klein Alex ist. Ganz gleich, was oder wie ich mich dabei fühlte.
Ich stieg im sechsten Stock aus. Gilda Haranzo wartete bereits auf mich. Sie war schlank und attraktiv und trug ein anthrazitfarbenes Kostüm mit weiÃer Seidenbluse. Mein Anwalt war schon gegen Ms. Haranzo angetreten und hatte mir gesagt, dass sie gut sei und auÃerdem ziemlich »missionarisch«. Sie war von ihrem Mann, einem Arzt, geschieden und hatte das Sorgerecht für ihre beiden Kinder. Ihr Honorar war hoch, aber sie hatte mit Christine zusammen Villanova besucht, und seitdem waren sie Freundinnen.
»Christine ist schon im Konferenzzimmer, Alex«, sagte sie, nachdem sie sich vorgestellt hatte. Dann fügte sie hinzu:
»Es tut mir Leid, dass es dazu gekommen ist. Der Fall ist schwierig. Es sind keine bösen Menschen beteiligt. Bitte, folgen Sie mir.«
»Mir tut es auch Leid, dass es so weit gekommen ist«, sagte ich, war mir in Bezug auf die »bösen Menschen« aber gar nicht so sicher.
Ms. Haranzo führte mich in einen mittelgroÃen Raum mit grauem Teppichboden und hellblauen Stofftapeten. In der Mitte stand ein Glastisch mit sechs eleganten schwarzen Ledersesseln. Auf dem Tisch standen nur eine Karaffe mit Eiswasser, einige Gläser und ein Laptop.
Durch die Fensterreihe sah man auf den Dupont Circle. Christine stand am Fenster. Sie sagte nichts, als ich eintrat. Dann ging sie zum Tisch und setzte sich in einen Ledersessel.
»Hallo, Alex«, sagte sie schlieÃlich.
69
Gilda Haranzo setzte sich hinter ihren Laptop, ich wählte den Sessel gegenüber von Christine. Plötzlich wurde der Verlust von Klein Alex sehr real für mich. Bei diesem Gedanken stockte mir der Atem. Eine gute Entscheidung oder nicht, fair oder unfair â Christine hatte uns verlassen und war Tausende von Meilen fortgezogen und hatte ihn nicht ein einziges Mal besucht. Wissentlich hatte sie ihre Rechte als Elternteil aufgegeben. Und jetzt hatte sie ihre Meinung geändert. Was, wenn sie ihre Meinung noch mal änderte?
Christine sagte: »Danke, dass du hergekommen bist, Alex. Die Umstände tun mir Leid. Du musst mir glauben, dass es mir Leid tut.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich war eigentlich nicht wütend auf sie, aber â doch, vielleicht war ich wütend. Ich hatte Klein Alex fast sein gesamtes Leben lang gehabt und konnte den Gedanken, ihn jetzt zu verlieren, nicht ertragen. Mein Magen fiel wie ein Lift im freien Fall. Es war so, als sähe man sein Kind auf die StraÃe rennen, direkt in einen schweren Unfall, und man könne nichts dagegen tun. Ich saà ganz still da und unterdrückte den Urschrei, der das gesamte Glas in der Kanzlei zerschmettert hätte.
Dann begann die Besprechung. Das informelle Beisammensein. Ohne irgendwelche bösen Menschen im Raum.
»Dr. Cross, danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben und hergekommen sind«, sagte Gilda Haranzo.
»Weshalb hätte ich nicht kommen sollen?«, fragte ich.
Sie nickte und lächelte erneut. »Wir
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