Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
Vom Netzwerk:
Oberschenkeln hoch. Skeetah reicht mir den Eimer mit den Welpen.
    »Schnell«, sagt Randall.
    Die drei Welpen geben quiekende Laute von sich, die wie flüsterndes Gebell klingen. Es sind ihre ersten Worte.
    »Kräftig ziehen«, sagt Daddy. Er runzelt die Stirn und hält eine Hand hoch, so als würde er an der Schnur ziehen.
    Das Wasser kriecht mir bis über den Schritt, und ich springe hoch.
    »Okay«, brüllt Skeetah. Er zieht sich an der Schnur hoch, als hinge er an einer Seilschaukel über dem See, und die Lukentür schwingt knarrend nach unten.
    »Hoch mit euch!«, sagt Randall und schiebt Junior die Leiter hoch auf den Dachboden. China schwimmt neben Skeetah. Ihr Kopf wackelt dabei wie eine Boje.
    »Los!«, sagt Skeetah und schubst mich zur Leiter. Ich gleite durchs Wasser, meine Zehen schleifen über den Flurteppich. Er packt mich am Rücken und stützt mich, während ich mit dem Eimer in der Hand vorsichtig auf den Dachboden klettere.
    »Esch!«, sagt Junior.
    »Hier bin ich.« Juniors Augen leuchten hell in der Dunkelheit. Der Wind schlägt gegen das Dach, und es knarrt. Randall kommt als Nächster, dann Daddy, und zuletzt Skeetah und China. Ich klemme mir den Eimer zwischen die Knie und setze mich auf einen Stapel Kisten; ich ziehe einen zerbrochenen Gegenstand heraus, der sich in meinen Oberschenkel bohrt. Weihnachtsschmuck. Randall sitzt auf einer alten Kettensäge, Junior kauert neben ihm. Daddy holt das Päckchen hervor, das er sich in den Hosenbund gesteckt hat, nachdem der Baum in sein Zimmer gefallen war. Es ist eine durchsichtige Plastiktüte. Er öffnet das Päckchen und zieht Fotos heraus. Kurz bevor Skeetah die Lukentür zuzieht und uns im Dunkeln einschließt, macht Daddy eine Bewegung, als wolle er eins der Bilder berühren, zögerlich, so leicht, wie man eine Wimper entfernt, aber dann hält sein glitzernder Finger inne, und er wickelt die Bilder wieder ein und schiebt sie in seine Hose.
Mama
.
    Die Tür zum Dachboden fällt ächzend zu.
    Das Dach ist dünn; man hört jeden Windstoß, jeden Regenschwall. Und es ist so dunkel, dass wir einander nicht sehen können, aber wir hören China bellen, und ihr Bellen klingt wie daseines dicken Hundes, ganz tief, wie dicht gewebter Stoff, der zerreißt.
    »Ruhig, China!«, sagt Skeetah, und China macht so schnell und fest das Maul zu, dass ich das Klacken ihrer Zähne hören kann. Ich stecke das Gesicht in den Eimer; die Welpen hören nichts. Sie wimmern immer noch. Ich betaste sie mit der Hand. Sie sind noch flaumig, ihr Fell wird gerade erst seidig glatt, und sie winden sich unter meiner Berührung. Der weiße, der gestromte und der schwarz-weiße. Sie strecken die Zungen raus, suchen nach Milch.
    »Das Haus«, sagt Randall, und seine Stimme ist stabil und ruhig, aber ich kann meine Panik kaum verbergen, als das Haus sich neigt, so langsam wie ein losgemachtes Boot.
    »Das Wasser«, sagt Skeetah. »Das kommt vom Wasser.«
    »Scheiße«, schreit Daddy, und wir halten uns alle im Dunkeln fest, als das Haus sich noch ein Stück weiter neigt.
    »Wasser«, sage ich.
    »Es ist noch nie bis hierhergekommen.« Daddy atmet hörbar ein. »Der verdammte Bach.«
    »Daddy«, sage ich und bin überrascht, wie klar meine Stimme ist, wie sicher und fest, wie eine Hand, die man im Dunkeln halten kann. »Auf dem Dachboden ist Wasser.«
    Das Wasser ist diesmal schneller; mit flüssigen Fingern greift es nach meinen Zehen, meinen Knöcheln und kriecht an meinen Waden hoch. Eine schnelle Verführung. Der Wind heult.
    »Einmal ist eine Familie…«, sagt Randall.
    »Das wissen wir«, sagt Daddy. Vierzehn Leute sind bei Camille ertrunken. Auf ihrem Dachboden. Das Haus hebt sich wieder von seinem Ziegelfundament und wackelt.
    »Wir werden nicht auf diesem verfluchten Dachboden ertrinken«, sagt Skeet, und ich höre ein lautes Klopfen, immer wieder. Ich hebe den Kopf, und Trümmerteile fallen mir in die Augen. Er schlägt gegen das Dach. Er will einen Ausgang machen.
    »Weg da«, sagt Randall. »Junior, geh zu Esch.« Ich spüre Juniors kleine Nadelfinger an meinem Handgelenk, und er stößt irgendwo gegen, und dann hockt er wie ein Affe auf dem Eimer, der zwischen meinen Beinen klemmt. »Ich hab’s.«
    Randall schwenkt im Dunkeln etwas, und als es das Dach trifft, macht es eine Delle, einen Spalt, durch den Licht fällt. Ächzend haut er gegen das Holz. Was auch immer er da schwenkt, es reißt ein Loch. Er schleudert es noch einmal nach oben, und das Holz bekommt ein kleines

Weitere Kostenlose Bücher