Vorkosigan 07 Cetaganda
könnte ja einen tödlichen Stromstoß bekommen. Die wenigen Sekunden, die er brauchte, um aus dem Labyrinth hinauszustürmen, reichten aus, um den Stahl seiner Schienen auf eine Temperatur zu erhitzen, mit der man hätte Wasser kochen können. Er ließ alle Würde fahren, hechtete auf den Boden der Vorhalle und riß seine Hosenbeine hoch. Beim ersten Griff nach den Klammern verbrannte er sich auch noch die Hände. Er fluchte, seine Augen tränten, dann versuchte er es erneut. Er riß seine Stiefel herunter, löste die Schienen, warf sie mit Geklapper beiseite und krümmte sich einen Moment lang in überwältigendem Schmerz. Die Schienen hatten an Schienbeinen, Knien und Knöcheln Muster aus aufquellenden weißen Striemen hinterlassen, die von wütend geröteter Haut umgeben waren.
Yenaro flatterte verzweifelt herum und rief laut um Hilfe. Miles blickte auf und fand sich inmitten eines Publikums von etwa fünfzig erschrockenen und verwirrten Leuten, die Zeugen seiner Vorführung waren. Er hörte auf, sich zu winden und zu fluchen, und setzte sich keuchend auf. Sein Atem zischte durch die zusammengebissenen Zähne.
Aus verschiedenen Richtungen schoben sich Ivan und Vorob'yev durch die Menge. »Lord Vorkosigan! Was ist passiert?« fragte Vorob'yev besorgt.
»Mir geht es gut«, erwiderte Miles. Ihm ging es keineswegs gut, aber jetzt war nicht die Zeit oder der Ort, in Details zu gehen. Er zog schnell die Hosenbeine wieder hinunter, um die Verbrennungen zu verbergen.
Yenaro jammerte erschrocken weiter. »Was ist denn bloß geschehen? Ich hatte keine Ahnung - ist mit Ihnen alles in Ordnung, Lord Vorkosigan? Ach du lieber Himmel ...
Ivan bückte sich und faßte eine der inzwischen abkühlenden Schienen an. »Ja, was zum Teufel ...<<
Miles überdachte die Reihenfolge der Empfindungen und ihre möglichen Ursachen. Es war kein Antigrav, für niemand anderen wahrnehmbar, und es war durch die Sicherheitskontrollen der Botschaft von Marilac geschlüpft. Verborgen vor aller Augen?
Gewiß. »Ich glaube, es handelte sich um einen Effekt von Elektro-Hysterese. Die Farbveränderungen in dem Display werden offensichtlich von einem sich umkehrenden niedrigen Magnetfeld bewirkt. Für die meisten Menschen kein Problem. Für mich war es nicht ganz so schlimm, wie wenn ich meine Beinschienen in eine Mikrowelle schieben würde, aber so ungefähr kann man es sich vorstellen.« Grinsend kam er auf die Beine. Ivan, der sehr beunruhigt wirkte, hatte schon Miles' Stiefel und die anstößigen Schienen eingesammelt. Miles überließ es ihm, sie mitzunehmen. Im Augenblick wollte er sie nicht anfassen. Er stolperte zu Ivan hinüber und murmelte: »Bring mich hier 'raus ...« Er zitterte und stand unter Schock. Ivan spürte es, als er Miles die Hand auf die Schulter legte. Zum Zeichen, daß er verstanden habe, nickte er ihm kurz zu und zog sich geschwind durch die Menge gut gekleideter Männer und Frauen zurück, von denen sich schon einige abwandten.
Botschafter Bernaux kam herbeigeeilt und fiel mit seinen bestürzten Entschuldigungen in Yenaros Einmann-Chor ein. »Wollen Sie auf der Krankenstation unserer Botschaft vorbeischauen, Lord Varkosigan?« schlug Bernaux vor.
»Nein, danke. Ich warte, bis wir zu Hause sind, danke.« Und das bitte bald.
Bernaux biß sich in die Unterlippe und betrachtete Lord Yenaro, der immer noch Entschuldigungen ausstieß. »Lord Yenaro, ich fürchte ...«
»Ja, ja, schalten Sie es sofort ab«, sagte Yenaro. »Ich werde meine Bediensteten schicken, damit sie es sofort entfernen. Ich hatte keine Ahnung - allen anderen schien es zu gefallen -, es muß neu entworfen werden. Oder vernichtet, ja, sofort vernichtet. Es tut mir so leid - das ist so peinlich ...«
Ja, nicht wahr? dachte Miles. Eine Demonstration seiner körperlichen Schwäche, dargeboten zu frühestmöglichem Zeitpunkt vor einem möglichst großen Publikum ...
»Nein, nein, zerstören Sie es nicht«, widersprach Botschafter Bernaux erschrocken. »Aber wir müssen es auf alle Fälle von einem Sicherheitsingenieur untersuchen lassen, und dann muß es modifiziert werden, oder man muß wenigstens eine Warnung aufstellen...«
Ivan erschien wieder am Rand der sich allmählich zerstreuenden Menge und gab Miles mit dem nach oben gerichteten Daumen ein Zeichen. Nach einigen weiteren Minuten, die mit qualvollen gesellschaftlichen Artigkeiten angefüllt waren, gelang es Vorob'yev und Ivan, Miles wieder durch das Liftrohr hinab zum wartenden Bodenwagen der
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