Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
im rasch größer werdenden Kreis um. »Du hast dir unter den Kriegern viele Freunde gemacht. Heute wird man auf deine Worte hören. Sei so schlau wie bei unserem Spaziergang durch das Hohlkehlen-Lager, dann sind wir innerhalb der Drehung eines Mondes hinter den Sideways Mountains.«
»Setz dich.« Windläufer machte ihm auf seiner Decke Platz. Schneckenhaus, stolz, so nah bei den Anführern sitzen zu dürfen, gehorchte sofort. »Was hältst du davon?« fragte Windläufer. »Bist du bereit, in den Süden, in das Unbekannte vorzustoßen? Vielleicht treffen wir dort auf Ungeheuer …
Bären, so groß wie Berge, und Seelenräuber oder andere Bestien.«
Schneckenhaus machte eine geringschätzige Geste. »Dann bringen wir sie eben um und gehen anschließend wieder zur Tagesordnung über. Dieser Hohlkehlen-Stamm macht mich nervös. Es sind so viele.« Er schüttelte den Kopf. »Und sie kommen alle hierher. Sie wollen hierbleiben. Wir haben keine Sommerwanderung zu anderen Jagdgründen gesehen. Ihre Entschlossenheit… wie eine Macht lag sie in der Luft. Ich setze auf das gewagte Unternehmen Süden.«
Schwarzer Mond begrüßte Heißes Fett, der eben den Kreis betrat. Das silberne Haar des alten Seelenfliegers leuchtete in der Sonne.
»Ah! Da kommt auch die Enkelin von Heißes Fett.« Schneckenhaus rammte Windläufer kräftig den Ellenbogen in die Rippen. Espe kniete am Rand des sich stetig erweiternden Kreises nieder. Mehr als ein männliches Augenpaar ruhte auf ihr.
»Espe? Sie ist hübsch. Wir haben uns ein paarmal unterhalten. Sie setzt sich oft zu uns und hört zu, wenn Heißes Fett und ich miteinander reden.« Windläufer wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Alten zu, seine Gedanken konzentrierten sich auf andere Dinge.
»Hübsch? Sie ist von erlesener Schönheit.« Schneckenhaus schnitt eine Grimasse. »Ich wette, du hast noch nicht gemerkt, daß sie ein Auge auf dich geworfen hat.«
»Hmm?«
»Ich sagte, sie hat ein Auge auf dich geworfen. Die anderen Männer sieht sie nicht einmal an, sie hat nur Augen für dich.«
Windläufer sah ihn erstaunt an. »Warum denn? Was habe ich getan?«
Schneckenhaus schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. »Du bist so schlau wie ein Felsklotz.
Sie hat Interesse an dir. Sie ist schon seit Monaten Witwe und hat sich noch nicht einmal nach einem der überragenden Krieger wie zum Beispiel dem, der neben dir sitzt umgesehen. Du kannst die schönste Frau des ganzen Stammes haben und dich läßt das kalt!«
Windläufer lachte und blickte zu Espe hinüber. Sie beobachtete ihn mit diesem seltsam prüfenden Blick, an den er sich inzwischen gewöhnt hatte. Ihre Schönheit konnte er nicht leugnen. Große, dunkle Augen blickten ihn aus einem herzförmigen Gesicht an, das von einer Fülle glänzenden, taillenlangen schwarzen Haares umgeben war.
»Ich bin auf der Suche nach einer anderen. Dir wünsche ich viel Glück bei Espe.«
»Deine Weiße Esche?«
Ja, meine Weiße Esche.« Meine? Bei der Erwähnung ihres Namens erwachten in Windläufer wehmütige Erinnerungen. Er sah ihr Lachen, das reizende Zwinkern ihrer übermütig blitzenden Augen, ihre schwarze Haarmähne, die das Sonnenlicht mit bläulichem Glanz einfing. Das weiche Leder ihres Kleides hob mit jeder Bewegung die Geschmeidigkeit ihres Körpers hervor.
Ich liebe dich …ja, ich werde dich heiraten… Ihre Worte hallten in seinen Ohren, als seien sie eben erst geflüstert worden.
Ich komme zu dir. Vor dem ersten Schnee. Er sah sie mit wiegenden Hüften auf sich zuschlendern, ein sinnliches Lächeln auf den vollen Lippen.
Ein kräftiger Ellenbogenstoß in seine Rippen unterbrach brutal seinen Tagtraum.
»Hättest du die Güte, mal zuzuhören?« flüsterte Schneckenhaus ihm ins Ohr.
Verwirrt guckte Windläufer den Freund an, der nachsichtig den Kopf schüttelte. Der Stammesanführer hatte gerade das Wort ergriffen. Heißes Fett saß mit gekreuzten Beinen neben Schwarzer Mond, die Hände im Schoß gefaltet, die Augen unverwandt auf das zertrampelte Gras gerichtet, und hörte aufmerksam zu.
Auf der anderen Seite von Schwarzer Mond saß Einziger Mann, rechts hinter ihm hockte Steinfaust.
Beide Männer wirkten abgespannt, ihre Kleider waren staubig und schlammbespritzt, als hätten sie einen langen Marsch hinter sich. Trotz ihrer Erschöpfung waren die beiden zweifellos nicht zu unterschätzende wachsame Männer.
Einziger Mann und Steinfaust? Wann sind die beiden zurückgekommen? Windläufer hatte gehört, sie
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