Wachgeküßt
ist, vergeudest du dein Leben, nicht das von Max. Ich weiß, wie das ist, ich hab das auch schon mal durchgemacht. Man kommt an einen Punkt, wo man sich so verdammt verloren fühlt, daß man nur noch nach Hause will, aber genau das wäre jetzt das Falsche, glaub mir.«
»Ich weiß ja«, erwidere ich. »Im Moment wäre das Richtige für mich...«
»Ja?« ermutigt Emma mich.
»Ein Glas Wasser. Sei so gut...«
Ich verbringe gute zwanzig Minuten damit, im Wagen zu sitzen und das Haus zu betrachten, versunken in Erinnerungen an glücklichere Tage. Ich spüre, wie das Rührei und der unverdaute Speck in meinem Bauch rumoren, und ich habe einen faustgroßen Knoten in der Kehle. Kein gutes Zeichen. Ich muß stark sein, wenn ich durch diese Tür gehe, ich darf mich nicht von Gefühlen übermannen lassen, obwohl mir die Kehle schon jetzt
wie zugeschnürt ist von der drohenden Aufregung, und meine Hände, die auf dem Lenkrad liegen, zittern.
Obwohl es schmerzt, rufe ich mir ins Gedächtnis zurück, wie ich Max mit Madeleine nackt im Bett gesehen habe, beim Ficken, wie ein Zuchthengst, der etwas zu beweisen hat. Das gibt mir die nötige Kraft. Der Max, den ich zu lieben glaubte, war nur ein Wunschbild, das ich erschaffen hatte. Der echte Max ist ein Mann, der mich angelogen hat, der versucht hat, eine meiner besten Freundinnen ins Bett zu kriegen. Ich denke wieder und wieder an jeden einzelnen Moment seines Verrats, als ob ich mich so häufig mit einer Nadel stechen würde, bis ich gegen den Schmerz immun bin. Ich mache das so lange, bis ich so weit immunisiert bin, daß ich es über mich bringe, aus dem Auto zu steigen, den kurzen Gartenweg entlang zu gehen und zu klingeln.
Max öffnet. Ich habe ihn mehr als eine Woche nicht gesehen. Mir kommt es eher wie ein Monat vor. Er hat eine Jeans und ein zerknittertes, weißes T-Shirt an. Er sieht müde und ein bißchen zerknautscht aus, so als ob er gerade aufgestanden wäre.
Beim Anblick dieses vertrauten Gesichts merke ich, wie heiße Tränen mir in die Augen schießen, aber ich blinzele, bis sie weg sind, und konzentriere mich auf die Tatsache, daß dieser Mann ein Arschloch ist. Er mag süß sein, trotzdem ist er ein Arschloch. So süß. Ich hatte das Grübchen ganz vergessen, das sich jedesmal am Kinn bildet, wenn er lächelt. Arschloch, Alex. Und die Art, wie das glänzende, dunkle Haar über eines der kornblumenblauen Augen fällt. RIESEN-Arschloch, Alex. Vergiß das Süße, denk nur: Arschloch! Klar?
»Alex! Ich dachte schon, du kommst nicht.«
Um in die Diele zu gelangen, muß ich über einen Stapel an mich adressierter Briefe hinwegsteigen. Offensichtlich hat Max nur seine aufgehoben, meine jedoch liegengelassen.
Er kommt auf mich zu, als wollte er mich umarmen, ändert aber offensichtlich seine Meinung und steuert unbeholfen
in Richtung Wohnzimmer. Ich folge ihm schweigend. In dem normalerweise blitzblanken Raum herrscht ein unglaubliches Durcheinander. Max gehört zu denjenigen Menschen, die nach einem tadellosen Zuhause verlangen, aber gleichzeitig erwarten, daß jemand anderes sich darum kümmert, daß dem so ist.
»Ähm... Willst du einen Kaffee oder so was?« fragt er und fährt sich mit einer Hand durch das glänzende, kastanienbraune Haar.
Ich habe schon einen Blick in die Küche geworfen und entdeckt, daß sich im Spülbecken jede Menge dreckiges Geschirr stapelt.
Ich ignoriere das Angebot. Sonst werde ich noch vergiftet. Oder zumindest würde ich Brechreiz bekommen. Selbst wenn ich keinen Brechreiz bekäme, würde er wahrscheinlich von mir erwarten, daß ich erst mal abwasche.
Unbeholfen schaue ich mich im Zimmer um, weiß nicht recht, was ich mit mir anfangen soll. Eigentlich will ich mich gar nicht setzen, aber ich will hier auch nicht rumstehen wie bestellt und nicht abgeholt. Max schaut mich an und versucht ein Lächeln. Genauer gesagt versucht er, mich anzuschauen. Seine Augen flitzen hin und her wie ein Tennisball. Das erinnert mich daran, was Ems über Männer gesagt hat, die einem nicht in die Augen schauen wollen.
»Und, wie ist es dir ergangen?«
Wie es mir ergangen ist? Ich finde ihn mit einer anderen im Bett, und er besitzt die Unverschämtheit zu fragen, wie es mir ergangen ist? Als ob ich von einer Geschäftsreise zurückkäme oder so was in der Art. Wenn mir nicht sowieso schon die Worte fehlen würden, wäre ich jetzt wirklich sprachlos. Ich starre ihn einfach nur stumm an. Ich weiß nicht, ob er es irritierend findet, daß ich
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