Wächter der Macht 04 - Exil
nicht dazu durchringen, einen von ihnen zu essen. Jetzt wünschte ich, ich hätte es getan. Aber du kannst es. Geh nach draußen und jage die Neks. Sie sind ganz in der Nähe.«
Das Ding hielt erneut inne und wartete eine volle Minute. Dann änderte es den Kurs und bewegte sich auf die Spitze des Felshaufens zu.
Felsbrocken rollten den Haufen hinunter, als das Ding sich durch die Öffnung zwängte.
In seinem Traum glaubte Ben, Neks aufheulen zu hören.
»Iss Mädchen.« » Werde stark.«
Die Stimmen verklangen, als Ben erwachte. Eilig schaute er sich um.
Kiara schlief immer noch neben ihm. Sie sah blass aus, ihre Züge durch die Strapazen und den Hunger hart geworden.
Die Zitadellendecke war jetzt besser zu erkennen. Längs der Kanten befanden sich viele sonderbare Formen -geschwungene Balkone, zerbrochene Statuen und Dinge, die er nicht identifizieren konnte. Er fragte sich, ob sich eine davon womöglich in dieses Etwas verwandeln konnte, das er in seinem Traum gesehen hatte.
Er stupste Kiara an, um sie zu wecken. »Steh auf. Wir haben etwas zu erledigen.«
»Wollen wir Shaker wecken?«
»Ja, wollen wir.«
Als letzten Schritt seiner Vorbereitung verband Ben das abgetrennte Antennenbein wieder mit dem Peilsender, dann hängte er die Schlaufe des Beutels um die Steinfigur, die er errichtet hatte.
Es handelte sich dabei um einen sorgsam aufgeschichteten Haufen Steine, um den eine rote Decke drapiert war. Aber vielleicht würde das Ding seinen Zweck erfüllen. Es thronte an einer Stelle, wo die Außenwände noch standen und der Fuß der Innenmauer mit Steinen übersäht war, die aus höheren Regionen herabgefallen waren. Der Beutel hing am Hals der Konstruktion.
Mit Kiara im Schlepptau zog sich Ben an dem gefrorenen Nek-Kadaver vorbei zurück, den sie entdeckt hatten, als sie an diesem Morgen die Zitadelle verlassen hatten. Sie suchten sich eine Stelle, die zwischen zwei verzierten Steinen verborgen lag, und warteten. Ben war so wachsam, wie sein vom Hunger verursachter Konzentrationsmangel es zuließ.
Zeit verging. In der Stille hörte Ben wieder die Stimmen.
»Iss Mädchen.«
» Werde stark.«
»Ihr wolltet, dass ich sie beschütze.«
Ben hatte seine Worte nicht laut aussprechen wollen, doch Kiara sagte: »Mit wem redest du da?«
»Mit niemandem.«
»Iss Mädchen.«
Warum wollten die Stimmen jetzt etwas anderes von ihm? Das Ganze war ihm ein Rätsel, und Jacen hatte stets gesagt, dass man Rätsel immer lösen sollte, weil dann Informationen daraus wurden, die sich als nützlich erweisen konnten.
Er versuchte, den Vorschlag der Stimmen rational zu betrachten. Auf rein logischer Ebene machte er Sinn. Wenn er Kiara tötete, kochte und aß, würde er Essen für mehrere Tage haben. Sein Verstand wollte instinktiv von diesem Gedankengang Abstand nehmen, denn beinahe alles, was er über Kannibalismus wusste, hatte er aus abschreckenden Geschichten über die gestrandeten Überlebenden eines Absturzes und über Leute, die verrückt geworden waren. Doch er zwang sich, über die Sache nachzudenken.
»Iss Mädchen.«
» Werde stark.«
Wenn er sie tötete und aß, würde man ihm nie auf die Schliche kommen, ihn nie dafür belangen. Selbst wenn er sich Jacen anvertraute, würde sein Mentor die Daten analysieren und zu dem Schluss gelangen, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, um zu überleben.
Tatsächlich besagte so ziemlich jedes vernünftige Argument, das ihm einfiel, dass es die zweckmäßigste Tat war, Kiara zu essen. Vielleicht funktionierte der Plan, den er gerade umzusetzen versuchte, nicht. Es konnte Tage dauern, bis sich irgendetwas tat. Es war gut möglich, dass er vorher starb.
Jedes vernünftige Argument.
Ben runzelte die Stirn. Aber nicht alle Argumente mussten vernünftig sein. Kiara war ein kleines Mädchen. Und noch dazu eins, das gerade seinen Vater verloren hatte, seinen Daddy. Da spielte es keine Rolle, dass sein Daddy offenbar ein
Kleinkrimineller gewesen war und die Chancen gut standen, dass Kiara ebenfalls zu einer Kleinkriminellen oder irgendeiner anderen Plage der Gesellschaft heranwachsen würde, wie Ben aufgrund von Daten aus den Computern der Garde annehmen musste. Möglicherweise würde sie aber auch als Erwachsene eine Medizin entwackeln, die besser war als Bakta, oder Songs schreiben oder in Holodramas mitspielen und damit das Leben für viele Leute besser machen. Oder sie bekam Kinder, die all das taten, oder sie brachte Kindern bei, diese Dinge zu tun. Aber
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