Wächter des Mahlstroms
Springer und einen Läufer verloren – bei dreiundachtzig Zügen?« Thlasoval hob staunend die Augenbrauen.
»Genau«, sagte Cloud. »Wenn es ums Schachspielen geht, hört die Freundschaft bei uns auf – man gewöhnt sich schnell ab, den Kavalier zu spielen, wenn man es mit einer Tigerin wie ihr zu tun hat.«
»Wenn ich eine Tigerin sein soll, möchte ich nicht wissen, was
er
ist.« Joan hob lächelnd den Kopf. »Sehen Sie sich den Spielstand doch an, Meister Thlasoval, sehen Sie doch selbst, was wir hier angerichtet haben. Ich kann ihn kaum in Zaum halten; seit vierzig Zügen versuche ich aus der Defensive herauszukommen. Ihn anzugreifen, das ist, als wollte man mit der nackten Faust an die Außenhülle eines Schlachtschiffs hämmern. Erkennen Sie seine Strategie? Na ja, vielleicht ist das so schnell nicht möglich.«
Joan war bereit, sich in eine ausführliche Sachdiskussion zu stürzen, denn die Tatsache, daß Fairchilds chickladorischer Geschäftsführer Schachmeister war, bildete einen Angelpunkt im Plan der Patrouille.
»Nein ... so schnell erkenne ich das natürlich nicht.«
»Wie Sie sehen, konzentriert er alles auf meine linke Flanke. In fünfzehn Zügen wird er sich auf meinen anderen Springer eingeschossen haben. Drei Züge weiter möchte er seinen Springer für meine Königin opfern – und dann matt in vier Zügen. Aber indem ich herausfand, was er vorhatte, habe ich seinen Angriff jetzt durcheinandergebracht, und er muß die ganze Kampagne neu aufrollen.«
»Kein Wunder, daß ich nicht begriffen habe ... ich bin einfach nicht in Ihrer Klasse. Aber hätten Sie etwas dagegen, wenn ich hierbleibe und zusehe?«
»Wir würden uns darüber freuen, aber Sie dürfen nicht mit einem schnellen Spiel rechnen. Wir halten uns strikt an die Turnierregeln und lassen uns für jeden Zug die vollen vier Minuten Zeit.«
»Das ist mir durchaus recht. Es ist mir eine Freude, zwei Großmeistern beim Spielen zuzusehen.«
Obwohl er selbst Schachmeister war, hatte Thlasoval keine Ahnung, welches fürchterliche Spiel er hier beobachtete. Denn Joan Janowick und Neal Cloud spielten gar nicht richtig; sie bewegten lediglich die Figuren. Das Spiel war längst ausgespielt worden. Auf der Grundlage einiger Partien zwischen den größten Meistern alter Tage, hatte man es mit Hilfe von superschnellen Computern Zug um Zug ausgearbeitet. Zwar konzentrierten sich Joan und Sturm in diesen Stunden – doch nicht auf Schach.
14
Joan kümmerte sich um die Kartenspiele, während Cloud sich die Roulettetische vorgenommen hatte. Der Tip, daß es klug wäre, die Spiele ehrlich zu betreiben, war den Zwilniks nicht wegen der Karten, sondern wegen der Rouletteräder eingeimpft worden, denn ein bremsbares und magnetisierbares Rad ist ziemlich schwer zu knacken.
So sah nun Joan ein Kartenspiel durch, wobei sie von einem Lens-Träger oder Rigellianer beobachtet wurde. Der beobachtende Telepath machte sich dann unauffällig daran, den am Spiel beteiligten Gästen Vorahnungen einzugeben. Und welcher Spieler setzt sich über seine Ahnungen hinweg, erst recht, wenn sie ihm immer wieder Gewinne bringen? Auf diese Weise begannen immer mehr Spieler mit immer größerer Regelmäßigkeit zu gewinnen – und es dauerte nicht lange, bis sich das Spielfieber in dem weiten Saal ausbreitete, eine der ansteckendsten Krankheiten, die der Mensch sich zuziehen kann. Wie ein Lauffeuer verbreitete es sich im Kasino.
Sturm Cloud kümmerte sich um die Roulettetische.
»Bitte Ihre Einsätze, meine Damen und Herren, machen Sie Ihre Einsätze, ehe die Kugel in die graue Zone kommt«, verkündeten die Croupiers. »Die Schirme gehen hoch, keine Einsätze können gemacht werden, während der Ball im Grün ist.«
Wären die Rouletteräder nicht getrimmt gewesen, hätte Cloud mühelos die genauer Ziffer berechnen können, auf die die Kugel fallen würde. In einem solchen Falle hätte die Patrouille die Veganerin Vesta natürlich nicht informiert. Bei ihrem Temperament und ihrem Vermögen hätte sie innerhalb einer Stunde die Bank gesprengt – und das lag nicht im Interesse der Patrouille.
Aber natürlich waren die Räder nicht in Ordnung. Cloud erhielt alle Informationen. Er wußte genau, an welcher Stelle der Ball die Grenze zum Grün überquerte, er kannte die genaue Geschwindigkeit, er kannte die Stärke der Magnetfelder und der Reibungswiderstände aller beteiligten Materialien. Ihm war bekannt, wieviel Bremskraft angewendet werden konnte, ohne die Spieler
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