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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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herum nicht verstehen kann, ›der kleine Engel‹. Alles Liebe der guten Gans & jedermanns liebe Grüße für Euch beide von hier.
     
    Immer Deine Dich über alles liebende
    Pippin… Pip- ip.
     
     
    Im Haus am Picadilly logierte schon seit einiger Zeit - im Grunde seit der Geburt des Kindes - Captain Byron. Eigentlich war er gekommen, um zu Augusta Ada zu gratulieren; als ihm aber dann Annabella und Mrs. Clermont von den beunruhigenden Ausfällen seines Vetters erzählten, beschloß er, als moralische Stütze und unvoreingenommener Beobachter zu bleiben.
    Er bekam Annabellas Brief ebenfalls zu sehen und hielt sie für eine aufopfernde kleine Ehefrau, die die Launen ihres vermutlich verrückten Gatten geduldig ertrug und ihn trotzdem noch liebte. Augusta gegenüber empfand er eine vage Sympathie, die ebenso vage erwidert wurde.
    Augusta war erleichtert über den Ton von Annabellas kurzer Nachricht und schrieb täglich, wie versprochen, ihre Berichte über Byrons Gesundheitszustand. Ihr Bruder ließ sich nur sehr ungern von Doktor Le Mann untersuchen, willigte jedoch hin und wieder ein.
    »B. stand früh auf - scheint ruhig zu sein, aber beschwert sich über Erschöpfung und Kopfschmerzen - fragte, wie es Dir ginge. Ich sagte, sehr gut, & sprach unbestimmt, wie Du es gewollt hast, von Deinen Gefühlen. Er hat nicht viel gesagt & das wenige in guter Laune. Er redet davon, heute zu fasten… Le Mann war bei B. der zuerst verwirrt war, sich aber nachher vernünftig & gutgestimmt unterhielt… Le M…. schlug Calonel vor, dem schließlich beigestimmt wurde, oder auch jeder anderen vorgeschlagenen Medizin. Er bat Le M. morgen wieder vorbeizuschauen. Alles, was mit Klugheit & Höflichkeit bei einem ersten Besuch gesagt werden konnte, wurde gesagt. Er wurde gefragt, ob er sich wünsche, einen Arzt zu haben - antwortete nein…«
    Dieser erste Gesundheitsbericht diente in seinem sachlichen Ton zwar nicht Annabellas Zweck, wurde von ihr aber trotzdem mit »Nr. 1« gekennzeichnet und ihrem Anwalt übergeben. Als sie von Augusta den Bescheid bekam, Le Mann habe Byron für nicht geistesgestört befunden, hingegen körperlich in sehr schlechter Verfassung, entschloß sie sich, zu handeln. Niemand konnte ihr vorwerfen, sie habe nicht alle denkbaren Entschuldigungen in Erwägung gezogen. Sie wollte Byron persönlich nicht schreiben, sondern bat ihren Vater, das zu tun - ihren Gatten davon zu unterrichten, daß sie eine gesetzliche Trennung wünsche. Annabella wollte aus mehreren Gründen keine Scheidung: Einmal hätte eine solche unfehlbar einen Skandal mit sich gebracht, und öffentlichen Ärger zu erregen, war gegen die guten Sitten und würde ihrem Kind schaden. Zum zweiten hinderte eine Trennung im Gegensatz zu einer Scheidung beide Ehepartner daran, jemals wieder zu heiraten.
    Für Annabella war diese Regelung ideal. Sie brauchte nicht mehr mit Byron zusammenzuleben und sorgte dafür, daß er keine zweite Frau ebenso unglücklich wie sie selbst machen konnte. Außerdem hätte eine neue Ehe ihm bestimmt das Sorgerecht für ihr Kind verschafft. Und nur um dieses Sorgerecht zu bekommen und um seine nötige Zustimmung für die Trennung zu erhalten, versteckte Annabella zunächst noch ihren großen Trumpf: das Wissen um das große Verbrechen, das er mit seiner Schwester begangen hatte und für das sie nun eifrig Beweise sammelte. Ihr Anwalt Lashington hatte ihr zu dieser Taktik geraten. Byrons Verhalten allein rechtfertigte eigentlich schon eine Trennung. Falls nicht - nun, dann würde man sehen.
    Doch als sich ihr Vater daran machte, seinem Schwiegersohn den bewußten Brief zu schreiben, fiel ihr ein, daß durch diesen Schritt Augusta womöglich ihre regelmäßigen Berichte einstellen würde. Dem mußte sie Rechnung tragen. Außerdem ließ sich das ärgerliche Gefühl nicht verdrängen, ihrer Schwägerin eine Erklärung schuldig zu sein.
    Folglich schrieb sie Augusta einen langen Brief über ihren Entschluß und endete: »Meine liebste Augusta - werde ich immer noch Deine Schwester sein? Ich muß von meinen Rechten, als solche betrachtet zu werden, zurücktreten; aber ich denke nicht, daß das einen Unterschied in der Freundlichkeit, die ich so gleichmäßig von Dir erfahren habe, machen wird.«
     
    Für Augusta kam Annabellas Brief nicht gänzlich unerwartet.
    Sie hätte blind und taub sein müssen, um die Andeutungen von Annabellas Londoner Freundinnen oder den Ton von Annabellas Antworten nicht richtig zu verstehen.

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