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Wallander 05 - Die falsche Fährte

Wallander 05 - Die falsche Fährte

Titel: Wallander 05 - Die falsche Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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eine fast unmerkliche Veränderung in der Stimme des Jungen wahr. Einen Augenblick lang hatte er gezögert, da war er sicher. »Und warum?« fragte er vorsichtig.
    »Sie war am empfindlichsten.«
    Wallander beschloß rasch, ein Risiko einzugehen. »Hat dein Vater sie berührt?«
    »Wie?«
    |288| »Ich glaube, du verstehst, was ich meine.«
    »Ja. Aber berührt hat er sie nie.«
    Da war es, dachte Wallander und versuchte, sich keine Reaktion anmerken zu lassen. Er hat möglicherweise seine eigene Tochter mißbraucht. Vielleicht auch den kleinen Jungen. Vielleicht auch den, mit dem ich gerade spreche. Der Gedanke an den denkbaren Übergriff empörte ihn.
    »Hatte dein Vater einen guten Freund?« fragte er.
    »Er hatte viele Bekannte. Aber ob einer sein Freund war, weiß ich nicht.«
    »Wenn du jemanden vorschlagen solltest, der deinen Vater wirklich gut kannte – mit wem, meinst du, sollte ich dann am besten sprechen?«
    Ein unfreiwilliges Lächeln trat auf das Gesicht des Jungen, aber er gewann sogleich die Kontrolle zurück. »Peter Hjelm«, antwortete er.
    Wallander schrieb den Namen auf.
    »Warum hast du gelächelt?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Kennst du Peter Hjelm?«
    »Ich bin ihm natürlich begegnet.«
    »Wo kann ich ihn erreichen?«
    »Er steht im Telefonbuch unter Gelegenheitsarbeiter. Er wohnt in der Kungsgatan.«
    »Und auf welche Weise kannten sie sich?«
    »Sie soffen zusammen. Was sie sonst noch machten, kann ich nicht sagen.«
    Wallander blickte sich im Zimmer um. »Hatte dein Vater noch irgendwelche Dinge hier in der Wohnung?«
    »Nein.«
    »Nichts?«
    »Kein Stück.«
    Wallander steckte den Zettel in die Hosentasche. Er wußte nichts mehr zu sagen.
    »Wie ist es, Polizist zu sein?« fragte der Junge plötzlich.
    Wallander hatte den Eindruck, daß der Junge sich wirklich dafür interessierte. Es funkelte in seinen wachsamen Augen.
    |289| »Mal so und mal so«, antwortete Wallander, plötzlich unsicher, was er im Moment eigentlich von seinem Beruf hielt.
    »Wie ist es, wenn man einen Mörder faßt?«
    »Kalt und grau und erbärmlich«, antwortete Wallander und dachte mit Abscheu an all die verlogenen Fernsehserien, die der Junge gesehen haben mußte.
    »Was werden Sie tun, wenn Sie den kriegen, der meinen Vater getötet hat?«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Wallander. »Das kommt darauf an.«
    »Er muß gefährlich sein. Wenn er schon andere Personen getötet hat?«
    Wallander war von der Neugier des Jungen peinlich berührt. »Wir fassen ihn«, sagte er bestimmt, um das Gespräch zu beenden. »Früher oder später fassen wir ihn.«
    Er stand auf und fragte nach der Toilette. Der Junge zeigte auf eine Tür im Flur. Wallander schloß hinter sich ab. Er betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Er brauchte unbedingt Sonne. Als er fertig gepinkelt hatte, öffnete er vorsichtig das Badezimmerschränkchen. Darin lagen ein paar Tablettenpackungen. Auf einer von ihnen stand der Name Louise Fredman. Er sah, daß sie am neunten November geboren war. Er prägte sich den Namen des Medikaments und des verschreibenden Arztes ein.
Saroten
. Er hatte noch nie von dem Medikament gehört. Zu Hause in Ystad würde er in der Liste der zugelassenen pharmazeutischen Mittel nachschlagen.
    Als er ins Wohnzimmer zurückkam, saß der Junge noch in der gleichen Stellung da wie zuvor. Wallander fuhr plötzlich der Gedanke durch den Kopf, ob der Junge eigentlich ganz normal war. Sein frühreifes Wesen und seine Selbstbeherrschung machten einen sonderbaren Eindruck.
    Der Junge sah ihn an und lächelte. Einen Moment lang schien die Wachsamkeit in seinen Augen verschwunden zu sein. Wallander verwarf den Gedanken und nahm seine Jacke. »Ich lasse wieder von mir hören«, sagte er. »Vergiß nicht, deiner Mutter zu erzählen, daß ich hiergewesen bin. Es wäre gut, wenn du ihr erzähltest, worüber wir gesprochen haben.«
    |290| »Kann ich Sie einmal besuchen?« fragte der Junge.
    Wallander war von der Frage überrascht. Als wäre ihm ein Ball zugeworfen worden, den er nicht fangen konnte. »Du meinst, du willst einmal ins Polizeipräsidium nach Ystad kommen?«
    »Ja.«
    »Natürlich kannst du das«, sagte Wallander. »Aber ruf vorher an. Ich bin viel unterwegs. Und es paßt auch nicht immer.«
    Wallander trat ins Treppenhaus und drückte auf den Fahrstuhlknopf. Sie nickten einander zu. Der Junge schloß die Tür. Wallander fuhr nach unten und ging in den Sonnenschein hinaus. Es war der bisher wärmste Tag dieses Sommers. Einen Moment lang

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