Wallander 06 - Die fünfte Frau
anpaßte. Sie zog ihn über die rechte Hand, öffnete die Tür und betrat schnell die Abteilung. Das Schwesternzimmer war leer, irgendwo spielte ein Radio, und sie ging lautlos und mit schnellen Schritten zu dem Zimmer. Dort glitt sie durch die Tür, die lautlos hinter ihr wieder zufiel.
Die Frau im Bett war wach. Sie zog sich den Handschuh ab und stopfte ihn in die Tasche. Dieselbe Tasche, in der der Brief von ihrer Mutter lag. Sie setzte sich auf die Bettkante. Die Frau war sehr blaß, und ihr Bauch wölbte sich unter dem Laken. Sie nahm die Hand der Frau.
»Hast du dich entschieden?«
Die Frau nickte. Die Frau auf der Bettkante war nicht erstaunt. Aber sie empfand dennoch eine Art Triumph. Auch die verkrüppeltsten Frauen konnten sich wieder dem Leben zuwenden.
»Eugen Blomberg«, sagte die Frau im Bett. »Er wohnt in Lund. Er ist Forscher an der Universität. Ich weiß nicht, wie ich näher erklären kann, was er tut.«
Sie streichelte die Hand der Frau.
|244| »Das finde ich schon selbst heraus«, sagte sie. »Daran brauchst du nicht zu denken.«
»Ich hasse den Mann«, sagte die Frau im Bett.
»Ja«, sagte die auf der Bettkante. »Und du haßt ihn zu Recht.«
»Wenn ich könnte, würde ich ihn umbringen.«
»Ich weiß. Aber das kannst du nicht. Denk statt dessen lieber an dein Kind.«
Sie beugte sich vor und streichelte der Frau die Wange. Dann erhob sie sich und zog den Handschuh wieder an. Sie war höchstens zwei Minuten im Zimmer gewesen. Vorsichtig schob sie die Tür auf. Keine der Hebammen oder der Schwestern war zu sehen. Sie ging wieder zur Ausgangstür.
Als sie am Schwesternzimmer vorbeikam, trat eine Frau heraus. Das war Pech. Aber es war nicht zu ändern. Die Frau starrte sie an. Es war eine ältere Frau, vermutlich eine der beiden Hebammen.
Sie ging weiter zum Ausgang. Aber die Frau hinter ihr rief etwas und lief ihr nach. Immer noch hatte sie vor, einfach weiterzugehen und durch die Tür zu verschwinden. Aber die Frau ergriff ihren Arm und fragte, wer sie sei und was sie hier tue. Es war betrüblich, dachte sie, daß Frauen immer so viele Schwierigkeiten machten. Dann wandte sie sich schnell um und schlug mit dem Handschuh zu. Sie wollte nicht verletzen, nicht zu hart schlagen. Sie achtete genau darauf, nicht die Schläfe zu treffen, das konnte verhängnisvoll sein. Sie schlug der Frau auf die Wange, mäßig hart. Genug, um sie zu betäuben, damit sie ihren Arm losließ. Die Frau stöhnte auf und sank auf den Fußboden. Sie wandte sich um und wollte weitergehen. Da spürte sie, wie zwei Hände ihre Füße faßten. Sie hatte nicht fest genug zugeschlagen. Gleichzeitig hörte sie, wie im Hintergrund eine Tür geöffnet wurde. Sie war drauf und dran, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Sie zerrte an ihrem Bein und beugte sich nieder, um noch einmal zuzuschlagen. Da fuhr die Frau ihr mit den Nägeln ins Gesicht. Jetzt schlug sie zu, ohne daran zu denken, ob es zu fest war oder nicht. Genau an die Schläfe. Die Frau ließ ihre Beine los und sank zusammen. Sie floh durch die Glastüre und spürte, daß die Nägel ihre Wange aufgerissen hatten. Sie lief den Korridor entlang. Niemand rief ihr |245| nach. Sie wischte sich das Gesicht ab. Der weiße Ärmel hatte Blutflecken. Sie steckte den Handschuh in die Tasche und zog die Holzschuhe aus, um schneller laufen zu können. Sie fragte sich, ob das Krankenhaus eine interne Alarmanlage hatte. Aber sie kam hinaus, ohne jemandem zu begegnen. Erst als sie im Auto saß und ihr Gesicht im Rückspiegel betrachtete, sah sie, daß es nicht viele Kratzer waren, und tief waren sie auch nicht.
Es war nicht ganz so verlaufen, wie sie es sich gedacht hatte. Damit konnte man auch nicht immer rechnen. Das wichtigste war trotz allem, daß es ihr jetzt gelungen war, die Frau, die das Kind bekommen sollte, dazu zu bewegen, den Namen des Mannes preiszugeben, der ihr so viel Leid zugefügt hatte.
Eugen Blomberg.
Noch hatte sie zwei Tage Zeit, um Nachforschungen anzustellen, einen Plan auszudenken und einen Zeitplan zu erarbeiten. Sie hatte auch keine Eile. Es brauchte eben seine Zeit. Aber sie rechnete nicht damit, daß sie länger benötigen würde als eine Woche.
Der Backofen war leer und wartete.
Kurz nach acht Uhr am Donnerstagmorgen war die Fahndungsgruppe im Besprechungszimmer versammelt. Wallander hatte auch Per Åkesson hinzugebeten. Gerade als er anfangen wollte, entdeckte er, daß jemand fehlte.
»Svedberg?« fragte er. »Ist er nicht
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