Wallander 06 - Die fünfte Frau
hat.«
»Ist es wirklich denkbar, daß sie Eugen Blomberg umgebracht hat?«
»Katarina Taxell ist ein Glied weit drinnen in einer Kette. Wenn es Glieder gibt, die wir miteinander verbinden können. Sie stellt weder einen Anfang noch ein Ende dar. Ich kann mir nur schwer vorstellen, daß sie einen Mord begangen hat. Sie gehört vermutlich zu der Gruppe mißhandelter Frauen.«
|446| Ann-Britt Höglund klang ausgesprochen verwundert. »Ist sie auch mißhandelt worden? Das habe ich nicht gewußt.«
»Sie ist vielleicht nicht geschlagen oder mit dem Messer verletzt worden«, sagte Wallander. »Aber ich habe den Verdacht, daß sie auf andere Weise mißhandelt worden ist.«
»Seelisch?«
»Ungefähr, ja.«
»Von Blomberg?«
»Ja.«
»Und doch kriegt sie sein Kind? Wenn es stimmt, was du über die Vaterschaft glaubst.«
»Danach zu urteilen, wie sie ihr Kind hielt, war sie nicht besonders froh darüber. Aber natürlich gibt es viele Lücken«, räumte Wallander ein. »Unsere Arbeit besteht doch immer darin, provisorische Lösungen zusammenzupuzzeln. Wir müssen versuchen, durch die Ereignisse hindurchzusehen und sie auf den Kopf zu stellen, um sie auf die Füße zu bekommen.«
»So was hat uns auf der Polizeihochschule niemand gesagt. Hattest du nicht eine Einladung, da Vorlesungen zu halten?«
»Niemals«, sagte Wallander. »Ich kann nicht vor Leuten reden.«
»Genau das kannst du«, antwortete sie. »Aber du willst es nicht wahrhaben. Ich glaube außerdem, daß du eigentlich Lust dazu hast.«
»Es ist auf jeden Fall jetzt nicht aktuell«, sagte Wallander und beendete das Gespräch.
Er dachte noch einen Moment darüber nach, was sie gesagt hatte. Stimmte es, daß er im Grunde Lust hatte, vor angehenden Polizisten zu sprechen? Früher war er stets überzeugt gewesen, daß seine Abneigung dagegen echt war. Jetzt begann er plötzlich daran zu zweifeln.
Er verließ den Unterstand und hastete durch den Regen zurück zu Katarina Taxells Wohnung. In einem Karton in der hintersten Ecke eines Kleiderschranks fand er eine große Anzahl Tagebücher, die weit in die Vergangenheit zurückreichten. Das erste hatte sie mit zwölf Jahren begonnen. Wallander sah mit Erstaunen, daß es eine schöne Orchidee auf dem Umschlag hatte. Mit gleichbleibender |447| Energie hatte sie diese Tagebücher durch ihre Jugend bis ins Erwachsenenalter weitergeführt. Das letzte war von 1993. Aber nach September gab es keine Eintragungen mehr. Er suchte weiter, fand aber keine Fortsetzung. Doch er war sicher, daß es eine gab. Er bat Birch um Hilfe, der jetzt damit fertig war, auf der Jagd nach Zeugen durchs Haus zu sausen.
Birch hatte den Schlüssel zu Katarina Taxells Kellerraum. Er brauchte eine Stunde, um ihn zu durchsuchen, fand aber keine Tagebücher. Wallander war jetzt überzeugt, daß sie sie mitgenommen hatte. Sie mußten in der Adidastasche gelegen haben, die Jonas Hader gesehen hatte, als sie sie in den Kofferraum des roten Golfs stellte.
Schließlich war nur noch ihr Schreibtisch übrig. Wallander hatte die Schubladen vorher schon hastig durchsucht. Jetzt wollte er es gründlich tun. Er setzte sich in den alten Stuhl, dessen Armlehnen mit geschnitzten Drachenköpfen verziert waren. Der Schreibtisch war ein Sekretär, dessen Schreibplatte man wie eine Schranktür hochklappen konnte. Auf dem Sekretär standen gerahmte Fotografien. Katarina Taxell als Kind. Sie sitzt im Gras. Weiße Gartenmöbel im Hintergrund. Unscharfe Gestalten. Jemand trägt einen weißen Hut. Katarina Taxell sitzt neben einem großen Hund. Sie blickt direkt in die Kamera. Ein Haarband mit Rosette. Die Sonne fällt schräg von links ein. Daneben ein anderes Bild: Katarina Taxell mit ihrer Mutter und ihrem Vater. Dem Ingenieur bei der Zuckerraffinerie. Er hat einen Schnauzbart und strahlt Selbstbewußtsein aus. Im Aussehen gleicht Katarina Taxell mehr dem Vater als der Mutter. Wallander nahm das Bild herunter und blickte auf die Rückseite. Keine Jahreszahl. Das Bild war in einem Fotoatelier in Lund aufgenommen. Das nächste Bild. Abiturfoto. Weiße Mütze, Blumen um den Hals. Sie ist dünner geworden, blasser. Der Hund und die Stimmung vom Gartenfoto sind weit weg. Katarina Taxell lebt in einer anderen Welt. Das letzte Bild, ganz außen. Eine alte Fotografie, die Konturen sind verblichen. Eine karge Landschaft am Meer. Ein altes Paar starrt steif in die Kamera. Weit draußen im Hintergrund ein Dreimaster, ohne Segel. Wallander dachte, daß das Bild von
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