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Wallander 06 - Die fünfte Frau

Wallander 06 - Die fünfte Frau

Titel: Wallander 06 - Die fünfte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hervorgetreten, und das einzige, was sie stehenließ, war der große Backofen, der sich jetzt wie eine eigentümliche Klippe erhob. Alle, die damals nach der großen Veränderung ihr Haus betraten, blieben verwundert stehen und sahen, wie schön es geworden war. Es war das alte Haus, aber trotzdem etwas ganz anderes. Das Licht strömte durch die neu ausgehauenen Fenster herein. Wenn sie es dunkel haben wollte, schloß sie die Fensterläden aus massiver Eiche, die sie hatte anfertigen lassen. Sie hatte die alten Fußböden aufgearbeitet und die Decke bis zur obersten Balkenlage offengelassen.
    Jemand hatte gesagt, der Raum gliche dem Inneren einer Kirche. Von da an hatte sie ihn als ihr privates Heiligtum betrachtet. Wenn sie dort allein war, fühlte sie sich wie im Zentrum der Welt. Dann spürte sie, daß sie ganz ruhig war, weit weg von allen Gefahren, die sonst drohten.
    Es gab Zeiten, in denen sie ihre Kathedrale selten besuchte. Der Fahrplan ihres Lebens wechselte ständig. Mehrmals hatte sie sich gefragt, ob sie das Haus nicht verkaufen sollte. Allzu vielen Erinnerungen hatten die Vorschlaghämmer nichts anhaben können. Aber sie wollte den Raum mit dem massiven Backofen, dieser weißen Klippe, die sie behalten hatte, aber zumauern ließ, nicht aufgeben. Er war ein Teil von ihr geworden. Manchmal betrachtete sie ihn als die letzte Schanze, die ihr blieb, um ihr Leben zu verteidigen.
    Dann war der Brief aus Algier gekommen.
    Sie dachte nie mehr daran, ihr Haus zu verlassen.
     
    Am Mittwoch, dem 28.   September, erreichte sie Vollsjö kurz nach fünfzehn Uhr. Sie war von Hässleholm gekommen, und bevor sie zu ihrem Haus fuhr, das etwas außerhalb der Ortschaft lag, hielt sie beim Laden und kaufte ein. Sie wußte, was sie brauchte. Sie war sich nur nicht sicher, ob sie ihren Vorrat an Trinkhalmen auffüllen mußte. Sicherheitshalber nahm sie noch eine Packung mit. Die |64| Verkäuferin nickte ihr zu. Sie lächelte zurück und sagte etwas über das Wetter. Dann sprachen sie über das schreckliche Fährunglück. Sie zahlte und fuhr weiter. Ihre nächsten Nachbarn waren nicht da. Es waren Deutsche, die in Hamburg wohnten und immer nur im Juli nach Schonen kamen. In dieser Zeit begrüßten sie sich, hatten aber sonst keinen Kontakt. Sie schloß die Haustür auf. Im Flur blieb sie ganz still stehen und lauschte. Sie ging in den großen Raum und stand reglos neben dem Backofen. Alles war still. Genauso still wünschte sie sich die Welt.
    Der Mann, der im Backofen lag, konnte sie nicht hören. Sie wußte, daß er lebte, aber sie brauchte sich nicht von seinen Atemzügen stören zu lassen. Auch nicht davon, daß er weinte.
    Sie meinte, einer heimlichen Eingebung gefolgt zu sein, die sie an dieses Ziel geführt hatte. Zuerst, als sie sich entschloß, das Haus zu behalten. Es nicht zu verkaufen und das Geld zur Bank zu bringen. Danach, als sie den alten Backofen stehenließ. Erst später, als der Brief aus Algier kam und sie erkannte, was sie tun mußte, offenbarte der Backofen seinen tieferen Sinn.
    Sie wurde in ihren Gedanken vom Wecksignal ihrer Armbanduhr unterbrochen. In einer Stunde kamen ihre Gäste. Vorher mußte sie dem Mann im Backofen noch sein Essen geben. Er lag jetzt seit fünf Tagen dort. Bald würde er so geschwächt sein, daß er keinen Widerstand mehr leisten könnte. Sie holte ihren Fahrplan aus der Handtasche und sah, daß sie vom kommenden Sonntag nachmittag bis Dienstag morgen frei hatte. Da mußte es sein. Dann würde sie ihn herausholen und ihm erzählen, was geschehen war.
    Wie sie ihn danach töten würde, hatte sie noch nicht entschieden. Es gab verschiedene Möglichkeiten. Aber sie hatte noch Zeit. Sie würde noch einmal überdenken, was er getan hatte, und dann würde sie sich darüber klarwerden, wie er sterben mußte.
    Sie ging in die Küche und wärmte die Suppe. Weil sie es mit der Hygiene genau nahm, hatte sie den verschließbaren Plastikbecher abgewaschen, den sie benutzte, wenn sie ihn fütterte. In einen anderen Becher füllte sie Wasser. Jeden Tag hatte sie die Menge, die sie ihm gab, verringert. Er sollte nicht mehr bekommen, als nötig war, um ihn am Leben zu erhalten. Nachdem sie die Nahrung |65| vorbereitet hatte, zog sie ein Paar Plastikhandschuhe über, spritzte sich ein paar Tropfen Parfüm hinter die Ohren und ging in den Raum, in dem sich der Backofen befand. Auf der Rückseite war eine Luke, hinter ein paar losen Steinen verborgen. Es war eher eine fast meterlange Röhre, die

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