Wallander 06 - Die fünfte Frau
meine Nachbarin ist meine Rettung.«
»Ich habe schon oft darüber nachgedacht«, sagte Wallander. »Ich nahm an, hilfreiche Nachbarinnen wären mit den fünfziger Jahren verschwunden.«
»Das sind sie wohl auch. Aber ich habe Glück. Meine ist an die fünfzig und hat keine eigenen Kinder. Aber sie tut es natürlich nicht umsonst. Und es kommt vor, daß sie ablehnt.«
»Und was machst du dann?«
»Ich improvisiere. Wenn es am Abend ist, kann ich vielleicht einen Babysitter kriegen. Manchmal frage ich mich selbst, wie ich es schaffe. Wie du weißt, schaffe ich es ja auch nicht immer. Dann komme ich zu spät. Aber ich glaube, Männer verstehen im Grunde nicht, welche komplizierten Operationen notwendig sind, um sein Verhältnis zur Arbeit zu lösen, wenn zum Beispiel ein Kind krank ist.«
»Vermutlich nicht«, sagte Wallander. »Wir sollten vielleicht |211| dafür sorgen, daß deine Nachbarin irgendeine Auszeichnung bekommt.«
»Sie hat davon gesprochen, daß sie umziehen will«, sagte Ann-Britt Höglund stirnrunzelnd. »Was dann ist, daran wage ich gar nicht zu denken.«
Das Gespräch verebbte.
»Ist sie hiergewesen?« fragte Ann-Britt Höglund.
»Vanja Andersson ist gekommen und schon wieder gegangen. Aus der Wohnung scheint nichts verschwunden zu sein. Aber sie hat mich auf etwas anderes gebracht. Gösta Runfelts Koffer. Ich muß zugeben, daß ich den vollständig vergessen hatte.«
»Ich auch«, sagte sie. »Aber soweit ich weiß, hat man ihn draußen im Wald nicht gefunden. Ich habe mit Nyberg gesprochen, gerade bevor er sich den Fuß gebrochen hat.«
»Ist es so schlimm?«
»Auf jeden Fall ist er ordentlich verletzt.«
»Dann wird er in der nächsten Zeit sehr schlechte Laune haben. Was alles andere als gut ist.«
»Ich lade ihn zum Abendessen ein«, sagte Ann-Britt Höglund erfreut. »Er mag gekochten Fisch.«
»Woher weißt du das?« fragte Wallander verwundert.
»Weil ich ihn schon früher mal eingeladen habe. Er ist ein sehr angenehmer Gast. Er redet über alles, nur nicht über seine Arbeit.«
Wallander fragte sich insgeheim, ob er selbst als ein angenehmer Gast gelten würde. Er wußte, daß er zumindest versuchte, nicht über seine Arbeit zu reden. Aber wann war er eigentlich zum letzten Mal zum Essen eingeladen gewesen? Es war so lange her, daß er sich nicht einmal daran erinnern konnte.
»Runfelts Kinder sind gekommen«, sagte Ann-Britt Höglund. »Hansson hat sie übernommen. Eine Tochter und ein Sohn.«
Sie waren ins Wohnzimmer gegangen. Wallander betrachtete die Fotografie von Gösta Runfelts Frau.
»Wir müssen rausfinden, was passiert ist«, sagte er.
»Sie ist ertrunken.«
»Aber genauer.«
»Hansson denkt daran. Er führt seine Gespräche gewissenhaft. Er wird die Kinder nach der Mutter fragen.«
|212| Wallander wußte, daß sie recht hatte. Hansson hatte viele schlechte Seiten. Aber eine seiner besten war, mit Zeugen zu sprechen. Informationen zu sammeln. Mit Eltern über ihre Kinder reden. Oder, wie jetzt, umgekehrt.
Wallander erzählte von seinem Gespräch mit Olof Hanzell. Sie hörte aufmerksam zu. Er übersprang zahlreiche Details. Am wichtigsten war die Schlußfolgerung, daß Harald Berggren heute sehr gut unter einem anderen Namen leben konnte. Er hatte das schon erwähnt, als sie am Telefon miteinander gesprochen hatten. Er merkte, daß sie weitergedacht hatte.
»Wenn er einen offiziellen Namenswechsel vorgenommen hat, können wir beim Patent- und Melderegisteramt nachfragen«, sagte sie.
»Ich zweifle daran, daß ein Söldner so formell zu Wege geht«, wandte Wallander ein. »Aber wir können es natürlich untersuchen. Das wie auch alles andere. Und das wird mühsam.«
Anschließend erzählte er von seiner Begegnung mit den Frauen aus Lund und Rechtsanwalt Bjurman draußen auf Holger Erikssons Hof.
»Ich bin einmal mit meinem Mann im Auto durch das innere Norrland gefahren«, sagte sie. »Ich habe eine vage Erinnerung, daß wir durch Svenstavik gekommen sind.«
»Ebba hätte längst anrufen und mir die Nummer vom Pfarramt geben sollen«, schimpfte Wallander und nahm sein Telefon aus der Tasche. Es war ausgeschaltet. Er fluchte über seine Schlampigkeit. Sie versuchte, ein Lächeln zu verbergen, was ihr aber nicht gelang. Wallander sah ein, daß er sich unmöglich und kindisch benahm. Um sich aus der Situation zu retten, rief er selbst im Präsidium an. Er ließ sich von Ann-Britt Höglund einen Bleistift geben und notierte die Nummer auf dem Zipfel einer
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