Wallander 10 - Wallanders erster Fall
hatte drei Kinder. Wallander hatte gemerkt, daß die Beziehung ihr mehr bedeutete als ihm. Halbherzig hatte er versucht, sich aus der Sache herauszuziehen. Wie er jetzt im Flur stand, wußte er sehr gut, warum er nicht angerufen hatte. Er hatte ganz einfach keine Lust, sie zu treffen. Er legte den Brief auf den Küchentisch und dachte, daß er die Sache beenden mußte. Es gab keine Zukunft, keine Basis. Sie hatten viel zuwenig Gesprächsstoff, viel zuwenig Zeit füreinander. Und Wallander wußte, daß er eigentlich nach etwas ganz anderem suchte, nach einer ganz anderen Frau. Einer, die Mona wirklich ersetzen konnte. Wenn es so eine Frau überhaupt |296| gab. Aber vor allem träumte er davon, daß Mona zu ihm zurückkäme.
Er kleidete sich aus und zog seinen alten, verschlissenen Bademantel an. Stellte erneut fest, daß er vergessen hatte, Klopapier zu kaufen, und suchte nach einem alten Telefonbuch, das er dann in die Toilette legte. Er räumte die Lebensmittel, die er in Herrestad gekauft hatte, in den Kühlschrank. Das Telefon klingelte. Es war nach elf Uhr. Er hoffte, daß nichts Ernstes geschehen war, das ihn zwingen würde, sich wieder anzuziehen. Es war Linda. Er freute sich wie immer, ihre Stimme zu hören.
»Wo warst du?« fragte sie. »Ich hab es den ganzen Abend versucht.«
»Du hättest es erraten können«, antwortete er. »Und du hättest Großvater anrufen können. Ich war bei ihm.«
»Daran hab ich nicht gedacht«, sagte sie. »Du besuchst ihn doch sonst nie.«
»Ich besuche ihn nie?«
»Jedenfalls sagt er das.«
»Er sagt so viel. Übrigens wird er in ein paar Tagen nach Ägypten fliegen und sich die Pyramiden ansehen.«
»Wie schön. Schade, daß ich nicht mitkommen kann.«
Wallander sagte nichts. Dann lauschte er ihrem wortreichen Bericht über alles, was sie in den letzten Tagen gemacht hatte. Er freute sich, daß sie sich vor kurzem wieder für eine Lehre in einer Möbelpolsterei entschieden hatte. Er nahm an, daß Mona nicht zu Hause war, weil sie sich meistens aufregte, wenn Linda so viel und so lange telefonierte. Gleichzeitig fühlte er einen Stich von Eifersucht. Obwohl sie jetzt geschieden waren, konnte er sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, daß Mona sich mit anderen Männern traf.
Das Gespräch endete damit, daß Linda versprach, ihn in Malmö zu treffen und dem Großvater bei seiner Abreise nach Ägypten zuzuwinken.
Inzwischen war es nach Mitternacht. Da Wallander noch Hunger hatte, ging er zurück in die Küche, um sich wenigstens einen Teller Haferbrei zu machen. Um halb eins kroch er ins Bett und schlief fast sofort ein.
|297| Am Morgen des 12. Dezember war die Temperatur auf minus vier Grad gesunken. Wallander saß um kurz vor sieben in der Küche, als das Telefon klingelte.
Es war Blomell. »Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt«, sagte er.
»Ich bin schon aufgestanden«, antwortete Wallander mit der Kaffeetasse in der Hand.
»Mir kam plötzlich ein Gedanke, nachdem du weg warst«, fuhr Blomell fort. »Ich bin natürlich kein Polizist, aber ich dachte, ich könnte trotzdem anrufen.«
»Sag, was du gedacht hast!«
»Ich meine nur, daß das Flugzeug sehr tief geflogen sein muß, wenn man bei Mossby Motorenlärm gehört hat. Das muß ja bedeuten, daß es auch andere gehört haben. Auf die Art kannst du vielleicht herausbekommen, in welche Richtung es geflogen ist. Und vielleicht findest du sogar jemanden, der ein Flugzeug gehört hat, das in der Luft gedreht hat und in die Richtung zurückgeflogen ist, aus der es kam. Wenn zum Beispiel jemand es nur mit wenigen Minuten Abstand gehört hat, kann man vielleicht ausrechnen, in welchem Radius die Maschine kehrtgemacht hat.«
Wallander sagte sich, daß Blomell selbstverständlich recht hatte. Er hätte selbst auf die Idee kommen müssen. Aber das sagte er nicht.
»Wir sind dabei«, antwortete er statt dessen.
»Das ist gut«, sagte Blomell. »Wie geht es deinem Vater?«
»Er hat erzählt, daß er nach Ägypten fliegen will.«
»Klingt nach einer guten Idee.«
Wallander antwortete nicht.
»Es ist kälter geworden«, schloß Blomell. »Der Winter kommt.«
»Bald gibt es wieder Schneestürme«, antwortete Wallander.
Er ging zurück in die Küche. Dachte darüber nach, was Blomell gesagt hatte. Martinsson oder jemand anders könnte mit den Kollegen in Tomelilla und Sjöbo Kontakt aufnehmen. Vielleicht zur Sicherheit auch mit denen in Simrishamn. Möglicherweise konnte man den Kurs des Flugzeugs und sein Ziel
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