Warum Mathematik glücklich macht: 151 verblüffende Geschichten (German Edition)
Genauigkeit zu berechnen. Die größte sinnvolle Genauigkeit kann man aus der kleinsten physikalisch sinnvollen Längeneinheit ableiten: Das ist die Planck-Länge von rund 10 -35 m. Das Licht des Urknalls kommt vom Rande des Universums bei uns in Form der Hintergrundstrahlung an, und zwar aus einer Entfernung, die sich als das Produkt aus dem Alter des Universums von rund 1,3 · 10 10 Jahren mit der Lichtgeschwindigkeit von 9,5 · 10 15 Meter pro Jahr ermitteln lässt. Ein Kreis mit diesem Radius hat den ungeheuren Umfang von 8,2 · 10 61 Planck-Längen. Dennoch: Um dessen Umfang aus diesem bis auf eine Planck-Länge genau bekannten Radius zu berechnen, und zwar mit einer Genauigkeit von ebenfalls einer Planck-Länge, reichen 62 Dezimalen von π aus.
Die Nationen wurden aufgefordert, einen Kreis zu zeichnen. Der Amerikaner trat an mit einer Kreiszeichnungsmaschine, the biggest of the world. Der Engländer zeichnete freihändig einen fast einwandfreien Kreis, der Franzose ein reich geschmücktes Oval, der Österreicher sagte: «Gehns – wir wern uns net herstellen», und pauste den englischen Kreis durch. Die Deutschen lieferten ein Tausendsechsundneunzig-Eck, das fast wie ein Kreis aussah, es war aber keiner.
Kurt Tucholsky: Mit 5 PS
106. Mathematik im Dunkeln
Die meisten Menschen lassen sich das Leben gefallen, ohne mit der Lösung eines Jahrhundertproblems zu antworten. Nicht so Andrew Wiles. Er wird in die Geschichte eingehen als der Mensch, der die seit mehr als 300 Jahren offene Fermat’sche Vermutung bewiesen hat. Mehr als 7 Jahre hat er daran mit beispielloser Intensität und Leidenschaft gearbeitet. Mathematik-Euphorie liegt vielleicht nicht im Großtrend der Zeit. Aber mächtige Strömungen erzeugen auch Auffälligkeitschancen für Gegenläufiges und Anti-Trends. Jedenfalls konnte sich Andrew Wiles über mangelnde Aufmerksamkeit nicht beklagen.
Als Gleichnis seiner Arbeit an Fermats Vermutung hat Wiles eine sehr eingängige Beschreibung für wissenschaftliches Arbeiten in der Mathematik mit offenem Ausgang geliefert – den Gang durch ein dunkles Haus:
«Man betritt den ersten Raum, und er ist dunkel. Vollkommen dunkel. Man stolpert herum und stößt gegen die Möbel, doch allmählich wird klar, was wo steht. Endlich, nach vielleicht einem halben Jahr, findet man den Lichtschalter, und plötzlich liegt alles im Hellen. Man kann genau sehen, wo man ist. Dann geht man in den nächsten Raum und verbringt wieder ein halbes Jahr im Dunklen. Diese Durchbrüche, für die man manchmal nur einen Augenblick braucht, ein andermal ein oder zwei Tage, sind allesamt Errungenschaften der vielen Monate des Herumstolperns im Dunkeln, ohne die es sie nicht geben würde.» So weit der Meister himselbst.
Aus einem BBC-Dokumentarfilm über Andrew Wiles
Unterbietungsklimax: Darkness beyond Black
Was ist der Unterschied zwischen Mathematik, Philosophie und Theologie?
Mathematik ist, wenn man in einem dunklen Raum mit verbundenen Augen eine schwarze Katze sucht.
Philosophie ist, wenn man in einem dunklen Raum mit verbundenen Augen eine schwarze Katze sucht, die gar nicht drin ist.
Theologie ist, wenn man in einem dunklen Raum mit verbundenen Augen eine schwarze Katze sucht, die gar nicht drin ist, und ruft: «Ich hab sie!»
107. Minimax-Interventionen: Minimale Ursachen und maximale Wirkungen
Kausalität ist ein Begriff, der die Abfolge von durch Ursache-Wirkungs-Beziehungen aufeinander bezogenen Ereignissen betrifft. Die vorausgehenden Ereignisse, die ein gegebenes Ereignis kausal beeinflussen können, also mithin als Ursachen des gegebenen Ereignisses fungieren können, bilden die Vergangenheit relativ zu diesem Ereignis. Entsprechend bildet die Gesamtheit aller Ereignisse, die das gegebene Ereignis beeinflussen kann, die Zukunft in Bezug auf dieses gegebene Ereignis. Insofern ist mit Kausalität eine strenge Halbordnung verbunden. Die Ursache der Ursache einer Wirkung ist mittelbar auch Ursache der Wirkung: Causa causea est causa causati.
Viele Denker haben sich mit der relativen Größe von Ursachen und Wirkungen beschäftigt. Die auf Leibniz 1695 zurückgehende Grundregel causa aequat effectum (Die Ursache ist gleich der Wirkung), die ein Äquivalenzprinzip zwischen Ursache und Verursachtem ausdrückt, hielt sich bis zum 19. Jahrhundert in Teilen der Physik.
Andere Denker waren vorsichtiger und vertraten eine Ähnlichkeit oder Proportionalität von Ursache und Wirkung oder motivierten den Gedanken der
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