Was soll denn aus ihr werden?
vernünftiger Mensch mehr«, fuhr das Mädchen auf der andern Seite des Gesträuchs mit lauter Stimme fort; »eine solche Frau hat Besseres zu tun, als einen kleinen Krüppel zu verpflegen, das wird ihr kein Mensch zumuten.«
»Aber sie ist ja die Mutter –«, unterbrach Melchior hier die Rede.
»Wenn sie aber viel Besseres und Größeres tun kann«, fuhr die Sprechende fort, »und sie Studien in dieser und jener Wissenschaft macht, wie wenige Frauen und auch Männer dazu es zu tun imstande sind, kann sie doch viel Größeres leisten, als wenn sie sich mit dem kleinen Krüppel abgibt. Ich kann Ihnen sagen, daß unser Herr selbst erstaunt ist über seine Frau und sagt, sie wisse soviel, daß man zwei Professoren aus ihr machen könnte. Sie mußte auch nur hierher, die Kur zu machen, weil sie soviel gearbeitet hat, der Arzt hat es befohlen. Der Herr macht unterdessen eine Reise mit den beiden ältern Söhnen, das sind zwei hübsche, gesunde Jungen. Der Arzt wollte, man solle den Kleinen mit hierher nehmen, die Luft müßte ihm gut tun. Aber was! Gut tun! Der ist und bleibt ein Krüppel! Was es für die Dame ist,einen solchen Jungen zu haben, kann man denken, sie ist froh, wenn ich solang wie möglich hier mit ihm draußen bleibe, so muß sie ihn doch nicht um sich haben.«
»Es ist gut, daß er eine so freundliche Pflegerin hat, da ihm die Mutter fehlt«, sagte Melchior trocken.
Die so bezeichnete Pflegerin blickte den Gärtner etwas zweifelhaft an, sie wußte offenbar nicht ganz sicher, ob seine Worte ernst gemeint seien.
»Sie ist gar nicht freundlich, sie ist so bös wie eine Teufelin«, ertönte plötzlich eine aufgebrachte Stimme durch das Gebüsch und mit funkelnden Augen beugte der lahme Junge sich vorwärts, um recht mit seiner Stimme durchzudringen.
»Da hören Sie's, das hat man zum Dank!« rief die erzürnte Pflegerin aus. »Der kleine, boshafte Krüppel –«.
Dori ergriff den Wagen und rollte ihn so weit weg, daß man von den weiteren Worten nichts mehr hören konnte. Dem aufgeregten Jungen liefen jetzt die Tränen über die bleichen Wangen herab.
»Ja, ich weiß es schon«, schluchzte er jetzt auf, »kein Mensch hat mich lieb. Karl und Max gehören zum Papa, und ich gehöre zu gar niemand.«
Dori beugte sich zu ihm nieder und umfaßte ihn: »Du armer Kleiner!« sagte sie zärtlich, »sieh, ich habe es wie du, ich gehöre auch zu niemand.«
Jetzt schlang der Junge seine beiden Arme um ihren Hals. »Gehörst du auch zu niemand? So will ich dir etwas sagen.« Und er zog sie noch ein wenig näher zu sich nieder und sagte ihr ins Ohr: »So komm zu mir, dann wollen wir die böse Lorette fortjagen.«
In diesem Augenblick kam die Pflegerin Lorette rasch dahergegangen und trat an den Wagen heran. »So hast du jemand gefunden, der dich umher führte, Willi? Ich danke Ihnen«, sagte sie dann, mit ausgesucht freundlicher Stimme sich zu Dori wendend, und rollte schnell den Wagen davon.
Dori ging zu der Stelle zurück, wo Melchior arbeitete.Sie wollte gern hören, wer der arme Junge sei, und was Melchior von ihm und der Mutter wisse, die mit hier war, ob er diese kenne.
Melchior wußte nichts weiter, als daß die Dame im Kurhaus wohnte, daß die junge Dienerin täglich viele Stunden lang den kranken Jungen im Garten umherfahre, und nur dann sich dem Gärtner nahe und ihm ihre Mitteilungen mache, wenn sie keine erwünschtere Gesellschaft im Garten finde.
»Der arme Kleine, er muß doch eine sonderbare Mutter haben!« sagte Dori noch ganz erfüllt von dem Eindruck, den ihr der kleine Leidende gemacht hatte.
»Das habe ich auch schon gedacht«, entgegnete Melchior. »Und etwas anderes finde ich auch noch sonderbar, Dori. Warum sitzest du denn nun trübselig unten im Kellerloch und weißt doch, daß oben hell und warm die Sonne scheint und Freude in die Herzen bringen kann?«
Dori erinnerte sich gleich des Gesprächs von damals wieder, da Melchior diesen Vergleich angewandt hatte. Einen Augenblick schwieg sie stille, dann sagte sie kleinlaut: »Ja, Melchior, wenn man es auch weiß, daß oben die Sonne ist, die fröhlich macht, wenn man aber unten im Kellerloch liegt und hat keine Leiter, hinauf zu steigen, wie kommt man hinauf?«
»Man hat da unten Zeit, ein wenig in sich zu gehen, und dann erinnert man sich, daß man einmal gewußt hat, ein barmherziger Helfer würde uns einen rettenden Arm entgegen halten, wenn wir die Hände bittend danach ausstreckten.«
Augenblicklich stiegen in Doris Herzen die
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