Wechsel-Wind
»Wo sind die Tiere?«
»Nimby sagte, sie würden sich benehmen, wenn wir sie freilassen, also haben wir's getan.«
Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, sagte aber nichts.
Tweeter kam zurück. Er landete auf Nimbys Schulter und begann, aufgeregt zu zwitschern. Nimby schrieb wieder etwas auf und reichte Jim das Blatt. ›Der Sturm hat sehr große Vögel aufgestört, und sie sind vielleicht feindselig. Sie kommen hierher.‹
Jim zuckte mit den Schultern. »Wie groß können Vögel denn werden?«
Ein gewaltiger Schatten legte sich über das Tal. Sie blickten auf, um zu erkennen, wovon er geworfen wurde. Es sah aus wie ein Flugzeug, flog aber völlig geräuschlos. Vielleicht war das ein großer Gleiter.
Dann kreischte »es« – es war ein Vogel; aber ein Vogel von der Größe eines Linienflugzeugs. Eine solche Kreatur konnte versuchen, das Wohnmobil mit seinen Krallen aufzuheben und mitzunehmen, und hätte dabei vermutlich Erfolg.
»Jim… «, sagte Mary eindringlich.
»Ja.« Laut rief er: »Kinder! Tiere! Es geht los!«
Aus allen Richtungen eilten die Gerufenen heran. Auch Chlorine kam zurück; windzerzaust wie sie war, wirkte sie sogar noch reizvoller. Aber diesmal würdigten die Jungen sie keines Blickes. »Guckt euch nur den Riesenadler an!« rief David und blieb stehen, um seiner eigenen Aufforderung zu folgen.
»Rein mit dir!« antwortete Mary angespannt.
Eilig drangen sie ins Wageninnere. Nachdem Jim sich vergewissert hatte, daß alles so war, wie es sein sollte, stieg auch er ein.
Nimby hatte ihm zwar mitgeteilt, daß die bösen Geschöpfe seinen Kindern Furcht einjagen würden; nun war statt dessen Mary verängstigt, und das wahrscheinlich aus gutem Grund.
Jim ließ den Motor an und fuhr auf die Auffahrt. Glücklicherweise befand sich hier keine Mautbude, und er konnte ohne Verzögerung weiterfahren.
Die Kinder sahen aus dem Fenster auf den riesigen Vogel. »Das ist ein Rokh«, sagte Sean voller Ehrfurcht.
»Der größte Vogel aller Märchen. Ich hätte nicht gedacht, daß ich jemals einen zu Gesicht bekommen würde.«
Tweeter zwitscherte etwas. Jim sah zu Nimby hinüber, der bereits etwas schrieb. ›Er sagt, das ist noch nicht alles.‹
»Was ist das?« schrie Karen da auf.
»Ein Drache«, antwortete Sean. Das war kein Scherz; dazu klang seine Stimme zu ernst.
Eine gewaltige groteske Gestalt hing nun drohend vor dem dahinrasenden Wohnmobil in der Luft. Ja, es war ein Drache. Karen kreischte laut.
Jim sah Nimby an. »Diese Straße ist geschützt?«
Nimby zögerte, dann nickte er.
»Aber da ist ein ›aber‹«, seufzte Jim. »Dann verrate uns mal die Einschränkung.«
Die Notiz kam postwendend. ›Die geflügelten Monstren können nichts direkt angreifen, was sich auf dem verzauberten Weg befindet. Aber sie können so tun, als ob. Laß dich davon nicht beirren!‹
»Und die Kinder können in Angst versetzt werden«, fügte Jim hinzu. Nimby nickte.
»Igitt! Pfui Teufel!« schrie David. Karen kreischte noch einmal. Und diesmal entschlüpfte selbst Mary ein unterdrückter Aufschrei des Entsetzens.
Jim sah von einem Fenster zum anderen und dehnte den Nacken dabei so sehr es ging, aber er sah nichts. »Die Straße ist verzaubert!« erinnerte er alle. »Nichts kann uns schaden, solange wir darauf fahren.«
»Körperlich«, erwiderte Mary gepreßt.
»Was habt ihr da denn nur gesehen?« wollte Jim wissen.
»Eine Harpyie«, antwortete Chlorine. »Das sind sehr häßliche und sehr fiese Biester.«
»Ein Vogel mit dem Kopf eines Menschen?« fragte Jim. »Was ist denn so schlimm an einer Sagengestalt mehr oder weniger?«
Dann erschien das schmutzige Wesen vor der Windschutzscheibe. Wie ein gründlich besudelter Geier sah es aus, aber es besaß den Kopf und die Brüste einer alten Vettel. »Ghaaa!« kreischte der schmutzige Vogel, bevor er über das Wohnmobil hinwegstrich. An den Füßen hatte er glänzende, ausgebleichte Krallen. Jim, der einen Zusammenstoß befürchtete und den der Anblick der Harpyie außerordentlich abstieß, wäre fast in den Randstreifen gerast. Immerhin verstand er nun, weshalb die anderen so entsetzt gewesen waren.
»Kann dieses Haus noch schneller fahren?« fragte Chlorine.
»Ja, aber das möchte ich bei diesem Seitenwind eigentlich nicht riskieren.«
»Ich glaube, das solltest du lieber tun«, entgegnete die Führerin besorgt. »Die Harpyien sind zwar nicht in der Lage, uns direkt zu schaden, aber wenn sie auf die Idee kommen, Eier auf uns zu legen…«
»Das
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