Weiberregiment
Alice wird die Einzige sein, an die man sich
erinnert. Wir waren einfach nur dazu da, sie hierher zu bringen.«
Jackrum schwieg, zog aber, wie Pol y vorhergesagt hätte, die
zerknitterte Tüte mit dem Kautabak aus der Tasche. Sie griff in ihre
eigene Tasche und holte ein kleines Paket hervor. Taschen, dachte sie.
Wir müssen die Taschen behalten. Ein Soldat braucht Taschen.
»Für dich, Feldwebel«, sagte sie. »Nur zu, öffne es.«
Das Päckchen enthielt einen kleinen, weichen Lederbeutel, der sich
zuziehen ließ. Jackrum hob ihn an der Schnur hoch, und der Beutel
baumelte hin und her.
»Nun, Perks, ich fluche normalerweise nicht, das kann ich
beschwören…«, begann er.
»Ja, das habe ich bemerkt«, sagte Pol y. »Das schmierige alte Papier
ging mir auf die Nerven. Warum hast du dir nie einen ordentlichen
Beutel besorgt? Einer der hiesigen Sattler hat das in einer halben Stunde
für mich zusammengenäht.«
»Tja, so ist das eben im Leben«, erwiderte Jackrum. »Jeden Tag denkt
man ›Bei den Göttern, wird Zeit, dass ich mir einen neuen Beutel
besorge‹, aber dann hat man so viel zu tun, dass man weiter den alten
benutzt. Danke, Perks.«
»Oh, ich dachte ›Was kann ich dem Mann schenken, der al es hat?‹,
und mehr konnte ich mir nicht leisten«, sagte Polly. »Aber du hast nicht
alles, oder, Feldwebel? Du hast nicht alles.«
Sie spürte, wie er erstarrte.
»An dieser Stelle solltest du besser aufhören, Perks«, sagte er und
senkte die Stimme.
»Ich dachte mir, dass du vielleicht jemandem dein Medaillon zeigen
möchtest«, fuhr Polly munter fort. »Das an deinem Hals. Und sieh mich
nicht so an, Feldwebel. Ja, ich könnte fortgehen und nie sicher sein, nie
wirklich sicher, und vielleicht würdest du es nie jemandem zeigen oder
die Geschichte erzählen, und eines Tages sind wir beide tot und…
welch eine Verschwendung, nicht wahr?«
Jackrum starrte.
»Du bist kein unehrlicher Mann, das kannst du beschwören«, sagte
Pol y. »Das betonst du jeden Tag.«
Um sie herum in der Küche herrschte die rege Betriebsamkeit von
Frauen. Womit auch immer Frauen beschäftigt waren, die Hände
schienen dabei eine wichtige Rol e zu spielen. Damit hielten sie Babys,
Pfannen, Tel er, Wol e, eine Bürste oder eine Nadel. Die Hände
arbeiteten selbst dann, wenn sie sprachen.
»Niemand würde dir glauben«, sagte Jackrum schließlich.
»Warum sol te ich jemandem davon erzählen?«, erwiderte Pol y. »Und
du hast Recht. Niemand würde mir glauben. Aber ich würde dir
glauben.«
Jackrum blickte in seinen frisch gefüllten Krug, als wollte er die
Zukunft im Schaum erkennen. Schließlich traf er eine Entscheidung,
holte die goldene Kette unter dem schmuddeligen Unterhemd hervor,
löste das Medaillon und ließ es aufschnappen.
»Hier«, sagte er und reichte es Pol y. »Wenn du unbedingt Bescheid
wissen willst…«
Die beiden Innenseiten des Medail ons zeigten zwei Bilder: hier ein
dunkelhaariges Mädchen, dort ein blonder junger Mann in der Uniform
der Rein-und-Rausser.
»Ein gutes Bild von dir«, sagte Polly.
»Das kannst du deiner Großmutter erzählen.«
»Nein, wirklich«, sagte Polly. »Wenn ich das Bild betrachte und dann
dich ansehe… Ich erkenne dich in ihr wieder. Damals warst du
natürlich blasser. Und nicht so… vol . Und wer war der junge Mann?«
»William, so lautete sein Name«, sagte Jackrum.
»Dein Liebster?«
»Ja.«
»Und du bist ihm ins Militär gefolgt…«
»Ja. Die gleiche alte Geschichte. Ich war ein großes starkes Mädchen,
und… Nun, du siehst es auf dem Bild. Der Künstler hat sich al e Mühe
gegeben, aber ich war nie für ein Ölgemälde geeignet. Bin kaum ein
Aquarell wert gewesen. Dort, woher ich stamme, suchen Männer
Ehefrauen, die sich ein Schwein unter jeden Arm klemmen können.
Und einige Tage später klemmte ich mir ein Schwein unter jeden Arm
und half meinem Vater, und einer meiner Holzschuhe blieb im
Schlamm stecken, und der Alte schrie mich an, und ich dachte: Zum
Teufel hiermit, Willie hat mich nie angeschrien. Ich besorgte mir
Männersachen, frag nicht wie, schnitt mir das Haar ab, küsste die
Herzogin und war drei Monate später ein Auserwählter Mann.«
»Was ist das?«
»So nannten wir früher einen Korporal«, sagte Jackrum. »Ein
Auserwählter Mann. Ja. Ich habe ebenfal s darüber gelächelt. Und so
war ich auf dem Weg. Das Militär ist ein Kinderspiel im Vergleich
damit, einen Bauernhof zu führen und sich um drei
Weitere Kostenlose Bücher