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Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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um uns mitzuteilen, dass sie nur Heiligabend und den ersten Weihnachtsfeiertag bleiben könne. Die Arbeit sei der reine Wahnsinn, erklärte sie. Charlie, der für eine noch größere Firma die Steuern machte, könne sich überhaupt nicht frei nehmen. Meine Mutter machte sich Gedanken, weil ihr Schwiegersohn an Weihnachten allein war.
    »Das macht ihm nichts aus«, versicherte Elise ihr und später auch mir. Als sie mich anrief, trug sie ihr Headset und machte gerade Einkäufe - um Mitternacht, Westküstenzeit. »Ihr versteht alle nicht, wie viel Zeit wir investieren. Das könnt ihr euch nicht vorstellen. Die Arbeit nimmt einfach kein Ende.«
    Mit »ihr alle« meinte sie natürlich meine Mutter und mich. Mein Vater brauchte keine Belehrung, wie viele Arbeitsstunden eine Anwaltskanzlei von einem neuen Mitarbeiter forderte. Er selbst arbeitete auch immer noch ständig. Die ganze Woche vor Weihnachten ging er ins Büro, noch bevor ich aufwachte, und kam gewöhnlich erst nach Hause, nachdem ich zu Abend gegessen hatte. Aber es schien ihn zu freuen, dass ich da war. Jeden Abend blieb er noch lange, nachdem er angefangen hatte zu gähnen und zu blinzeln, auf, um mir von seinem Tag zu erzählen - von einem Richter, der eingeschlafen war, einem Geschworenen, der verstohlen in der Nase gebohrt hatte.
    »Du lachst ja gar nicht«, sagte er.
    Ich versuchte zu lachen.
    Er schaute mich über den Rand seiner Brille hinweg an. »Alles in Ordnung? Du wirkst irgendwie bedrückt.«
    Ich zuckte die Achseln. Wenn ich ihm erzählte, dass Tim sich von mir getrennt hatte, würde er automatisch für mich Partei ergreifen und auf Tim schimpfen. Andererseits, wenn ich ihm Näheres erzählte - nämlich, dass alles meine Schuld war -, würde er mich wahrscheinlich fragen, was ich in Anbetracht meines Verhaltens denn erwartet hätte? Angesichts der Parallelen zwischen Clyde-vom-dritten-Stock und dem Dachdecker hätte er Tim verteidigen müssen. Ich selbst sah keine Parallelen, aber er hätte welche sehen können.
    »Dir ist langweilig, stimmt's?« Er legte einen tiefgekühlten Burrito in die Mikrowelle, stellte die Zeituhr und schaltete das Gerät an, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Ich meine, nicht jetzt, wenn ich da bin. Ich meine tagsüber. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich dich immer allein lasse.«
    Ich zuckte wieder die Achseln. Es stimmte, dass meine Möglichkeiten begrenzt waren. Das Auto meines Vaters war den ganzen Tag bei ihm, und es war zu kalt, um irgendwo spazieren zu gehen. Aber eigentlich hatte ich mich schon an meinen Tagesablauf gewöhnt, der so aussah, dass ich die letzten vierhundert Seiten von Middlemarch las und regelmäßig den Kopf hob, um aus dem Fenster zu sehen und zuzuschauen, wie Regen oder Schnee in den winzigen, künstlichen See fiel, nach dem das ganze Viertel meines Vaters benannt war. Ich machte mir Käsetoast. Ich schaute mir im Fernsehen die Nachrichten und Werbesendungen an. Trotzdem blieben mir immer noch mehrere Stunden am Tag für meine Hauptbeschäftigung - im Gästezimmer auf dem Boden zu liegen und mich wegen Tim elend zu fühlen.
    Mein Vater schlug vor, mir Unterlagen für die Aufnahmeprüfung in Medizin zu besorgen. »Du hast jetzt viel Freizeit«, sagte er. »Du kannst sie ruhig sinnvoll nutzen.«
    Ich erklärte ihm, dass ich eine Pause vom Lernen brauchen würde. Dabei beließ ich es. Über meine Chemienote wollte ich auch nicht mit ihm sprechen, obwohl die Zeugnisse in weniger als einer Woche verschickt werden würden.
    Doch die Idee, mich abzulenken, meine Zeit irgendwie sinnvoll zu nutzen, gefiel mir. Ich sagte meiner Mutter, wenn sie Lust hätte, mich abzuholen, könnten wir ins Kino gehen oder ich könnte ihr helfen, sich in ihrer neuen Wohnung einzurichten. Aber sie arbeitete wieder im Einkaufszentrum und machte viele Überstunden, um die verlorene Zeit wieder reinzuholen. Und außerdem, erklärte sie, wolle sie nicht, dass ich ihre Wohnung jetzt schon sah. Sie wolle sie erst ein bisschen aufmöbeln.
    An meinem dritten Abend in seiner Wohnung brachte mein Vater eine Eismaschine mit. Wir bauten sie zusammen, lasen die Bedienungsanleitung und gingen in den Supermarkt, um Zutaten zu besorgen. Den Rest des Abends verbrachten wir damit, eine dünnflüssige Masse mit Vanillegeschmack zu fabrizieren, die wir dann wie Suppe schlürften, und uns dabei Law & Order anzuschauen.
    »Ich muss demnächst mal wieder trainieren gehen.« Er lehnte sich auf der Couch zurück und blickte in seine

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