Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Meilen entfernt. Beim Frühstück hatte sein Vater auch erzählt, dass Johann die Schwester mit kleinen Geschenken überhäufe.
Franz schaute auf das Datum der Quittung: „Mai, 1816“, stand dort. Plötzlich hatte er eine Idee. Er zog kurzerhand die Schublade heraus und kippte deren Inhalt auf die Tischplatte. Schnell blätterte er alle Belege durch. Allerdings bestätigte sich seine Vermutung. Alle Zettel, die unter der Spieluhrquittung gelegen hatten, waren älteren Datums. Also im Mai war Johann noch in Rostock unterwegs gewesen, und hatte Geschenke eingekauft.
Die Frage blieb, für wen? Galten die Aufmerksamkeiten der Schwester oder einer Geliebten? Wenn sie für Johanna gekauft worden wären, könnte die Spieluhr noch hier im Zimmer sein. Franz sah sich um. Wo würde Johann so etwas aufbewahren? Die Kommode schied aus, dort hatte er seine Lebensmittel untergebracht. Eine Glasvitrine beherbergte Geschirr und Besteck. Die Schubfächer des Sekretärs waren zu klein. Aber vielleicht bot sich hinter der schrägen Schreibplatte eine Möglichkeit zum Verstauen. Franz versuchte das Pult zu öffnen. Es war verschlossen. Er durchwühlte alle Kästchen und Nischen des Möbels nach einem Schlüssel.
Nichts!
Er hatte Skrupel, das kleine Schloss aufzubrechen. Wenn Johann das Pult verschlossen hielt, so bewahrte er bestimmt intime Dinge dahinter auf. Aber die Umstände erlaubten keine Sentimentalitäten. Wenn er seinen Bruder finden wollte, musste er jede Möglichkeit nutzen, um Informationen zu sammeln.
Er zog sein Stilett aus dem Stiefel und machte sich mit Rücksicht auf Mudder Schultzens Einrichtung ans Werk. Das Schloss gab unter dem Druck der schmalen Klinge nach. Vorsichtig, als müsse er befürchten von irgendetwas angesprungen zu werden, öffnete er das Pult. Der Anblick, der sich bot, war ziemlich ernüchternd. Hinter der Schreibplatte verbargen sich wiederum viele kleine, aber auch größere Schubfächer. Er seufzte, zog sich einen Stuhl heran, die um den Tisch inmitten des Zimmers standen und setzte sich. Die Sichtung des Pultinhaltes, das war gewiss, werde länger dauern, als er stehend und in unbequemer vornüber gebeugter Haltung aushielte.
Johann schien in seinem Studentenleben nicht den kleinsten Schnipsel Papier ins Feuer geworfen zu haben. Für Franz’ Ermittlungen war das natürlich von Vorteil. Zunächst versuchte er, Johanns Gewohnheiten bei der Ablage seiner Papiere zu ergründen. Dazu zog er jede Schublade auf, verschaffte sich so einen ersten Überblick.
Einzelne Studienfächer hatte Johann in verschiedenfarbigen Pappaktendeckeln zusammengefasst. Sie lagen übereinandergestapelt in einem der größeren Fächer. Vorerst wollte Franz die Studienaufzeichnungen vernachlässigen. Viel interessanter erschienen ihm Korrespondenzen, die er einem anderen Kästchen entnahm. Er suchte nach Adressen, nach rein privaten Verbindungen, an die er hätte anknüpfen können. Er wurde jedoch enttäuscht. Kopie reihte sich an Kopie. Sein Bruder hatte offensichtlich diverse Bestellungen und Aufträge dupliziert, um jederzeit im Bilde zu sein, welche Verbindlichkeiten er eingegangen war. Auch wenn der Inhalt der Papiere nichtssagend sein mochte, umso überraschender war das Schriftbild von Johanns Handschrift. Franz starrte unverwandt auf die schwungvollen Lettern, griff zur Schreibfeder, suchte und fand ein Tintenfässchen und tauchte den Kiel ein. Er schrieb den letzten Satz einer Buchbestellung sorgfältig ab. Kein Zweifel, die Handschriften ähnelten einander sehr. Bei flüchtiger Betrachtung waren kaum Unterschiede feststellbar. Franz’ Finger umkrampften die Feder. Die unvermutete Gemeinsamkeit brachte ihm den Bruder näher, als es Johanns Wohnung vermocht hatte.
Warum hatte er die Ähnlichkeit übersehen? Er hatte doch erst kürzlich Johanns letzten Brief gelesen. Waren es die beängstigenden Nachrichten gewesen? Hatte er nur auf den Inhalt des Briefes geachtet und nicht auf seine äußere Form? Franz wischte sich über die Augen und wendete sich seinem eigentlichen Anliegen zu – der Spurensuche. Aber er fand nur Schreiben Rostocker Gewerbetreibender. Da meldete beispielsweise ein Buchhändler den Eingang eines gesuchten Bandes oder ein Metzger hatte Liquidationen für diverse Lieferungen geschickt. Franz blätterte hastig den Papierberg durch. Die meisten Schreiben stammten noch aus dem letzten Jahr. Keines war jünger als vier Wochen.
Halt, stopp, da war doch etwas?
Franz fischte den Zettel heraus,
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