Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
sie mit ausgestreckten Armen zwischen den Schulterblättern, so daß sie strauchelte und über einen Eimer mit Resten für die Hühner zur Seite fiel. Sie rappelte sich wieder auf und starrte ihn mit weit aufgesperrtem Munde an, die Rute schlaff in der Hand. Dann trat ein stechendes Funkeln in ihre Augen, das wenig Zweifel über ihre Absichten ließ, und sie biß die Zähne zusammen, daß der Knochen hervortrat wie eine Rolle Zehner.
Weldon floh zum Hintertor hinaus und rannte den Lehmpfad zwischen den Zuckerrohrfeldern hinunter. Die Sohlen seiner schmutzigen Tennisschuhe ließen Staubwolken aufstieben.
Sie wartete lange auf ihn und blickte gebannt durch den Fliegenschutz nach draußen, während die mauvefarbene Abenddämmerung zwischen die Bäume herabsank und das Abendrot die Wolken am Horizont im Westen in Flammen tauchte. Dann ging sie mit einer Flasche Apricot Brandy ins Badezimmer, wo sie fast eine geschlagene Stunde in der Wanne saß und immer wieder heißes Wasser zufließen ließ, bis der Boiler leer war. Wenn eines der Kinder auf die Toilette mußte, sagte sie nur, es solle das draußen erledigen. Schließlich trat sie wieder in den Flur, nur in Höschen und BH, das Haar in ein Handtuch gewickelt, die dunklen Konturen ihres Schamhaares deutlich sichtbar.
»Ich werde mich jetzt anziehen und dann mit einem Bekannten in die Stadt gehen«, sagte sie. »Und ab morgen kehrt hier ein neuer Besen. Glaubt mir, so was wie heute wird mir nie wieder vorkommen. Das könnt ihr eurem jungen Mr. Weldon von mir ausrichten.«
Aber sie ging nicht in die Stadt. Statt dessen zog sie das blaue Kostüm an, eine Bluse mit Blumenmuster, Nylonstrümpfe, und lief auf der Veranda hin und her, die Zigarette wie eine Filmschauspielerin hoch in die Luft gereckt.
»Warum nimmst du nicht einfach dein Auto, Mattie?« fragte Lyle leise durch die Fliegentür.
»Kein Benzin. Und außerdem wird gleich ein Gentleman kommen und mich abholen«, antwortete sie.
»Oh.«
Sie blies Rauch hoch zur Decke, das Gesicht ausdruckslos und eindimensional in den Schatten.
»Mattie?«
»Ja?«
»Weldon ist hinten im Hof. Darf er wieder ins Haus?«
»Die Mäuse kommen doch immer wieder zum Käse zurück«, sagte sie.
In diesem Augenblick wünschte sich Lyle, daß ihr etwas Furchtbares zustieße.
Sie drehte sich auf einem hochhackigen Absatz, einen Ellbogen in die andere Hand gestützt, die Zigarette ein paar Zentimeter vom Mund entfernt, das Haar in Rauch gehüllt.
»Gibt’s einen Grund dafür, daß du mich die ganze Zeit lang durch die Fliegentür so anstarrst?« fragte sie.
»Nein«, sagte er.
»Wenn du mal größer bist, wirst du schon noch tun können, was dir im Kopf rumgeht. Aber solange sollte man dir deine Gedanken nicht im Gesicht ablesen können. Du bist ein wollüstiger kleiner Bursche.«
Es widerte ihn an, was sie ihm da unterstellte, ihm traten Tränen in die Augen. Er wich zurück von der Fliegentür, machte dann kehrt und rannte hintenrum durchs Haus bis in den Hinterhof, wo Weldon und Drew an der Scheunenwand saßen. In den Glyzinien über ihren Köpfen funkelten Leuchtkäfer.
Niemand holte Mattie an diesem Abend ab. Sie saß in dem Polstersessel in ihrem Zimmer und trug Lage um Lage Lippenstift auf, bis ihr Mund die knallroten Konturen einer Clownsmaske hatte. Sie rauchte eine ganze Packung Chesterfield und wischte sich immer wieder mit einem kleinen Lappen, den sie in Fleckentferner getränkt hatte, Asche von dem dunkelblauen Rock; schließlich trank sie, bis sie das Bewußtsein verlor.
Es war eine heiße Nacht, und an der blauschwarzen Himmelskuppel über dem Golf brachen zahlreiche Blitze ohne den dazugehörigen Regen. Weldon saß im Dunkeln auf der Bettkante, die Schultern vornüber gekrümmt, die Fäuste zwischen den weißen Oberschenkeln. Seine kurzgeschorenen Haare sahen im Flackern der Blitze durchs Fenster wie Gefieder auf seinem Kopf aus. Als Lyle fast schon weggedämmert war, schüttelte ihn Weldon noch einmal wach und sagte: »Wir müssen sie uns vom Hals schaffen. Du weißt, daß es nicht anders geht.«
Lyle verbarg den Kopf unter dem Kissen und rollte weg von ihm, als sei es ihm irgendwie möglich, sich in den Schlaf zu flüchten und am nächsten Morgen in einer sonnigen, anderen, besseren Welt wieder zu erwachen.
Aber es war nicht der Morgen, der dämmerte, als er erwachte. Weldons Gesicht war direkt an seinem. Weldons Augen waren eingefallen, er roch stark aus dem Mund. Schwerer feuchtkalter Nebel hing in
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