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Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe

Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe

Titel: Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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ihm. Ich hatte ja vor allen Leuten Angst, nachdem Mutter fort war. Bis du kamst. Und ich blöde Kuh habe unsere Liebe kaputtgemacht, bloß weil ich nicht mehr so sein wollte, wie ich bin ... ich meine, ich wollte etwas sein, das einfach nicht meinem ... Wesen entspricht ...“ Sie verstummte und schüttelte traurig den Kopf.
    „Okay, wir sollten uns etwas pragmatischer mit dem befassen, was du gesehen hast“, sagte Jonas, auch, um von dem unbehaglichen Thema ihrer früheren Liebesbeziehung abzulenken. „Dieser Mann ... kannst du ihn beschreiben? Hat er dich an jemanden erinnert?“
    „Nein“, sagte Chris nach kurzem Nachdenken. „Ich habe ihn nicht deutlich gesehen. Es war mehr ein gefühlsmäßiger Eindruck.“ Sie schloß die Augen. „Rennende Füße auf dem Waldboden. Ich konnte seinen keuchenden Atem hören und seinen Angstschweiß riechen.“ Jonas merkte, wie sie sich dabei wieder anspannte, und streichelte beruhigend ihre Schultern.
    Aus der Ferne näherte sich pfeifender, knatternder Rotorenlärm.
    Das Leben ist völlig bescheuert, dachte Jonas. Ich wollte ihr nie wieder zu nahe kommen, und jetzt stehe ich hier und halte sie im Arm.
    „Ich weiß, daß du nicht gern fliegst, weil du immer die Erde unter deinen Füßen spüren willst“, sagte er. „Aber wenn ich neben dir sitze, wird es gehen, ja?“
    Chris löste sich aus seinen Armen und lächelte tapfer.
    Der grünweiße Polizeihubschrauber setzte auf dem Parkplatz auf. Jonas streckte seine Hand aus, Chris nahm sie. Zusammen gingen sie auf die mit laufendem Rotor wartende Maschine zu. Wie früher, dachte er. Oh, verdammt.
    Unter ihnen breitete sich die Hochebene der Nordeifel aus. Der Flug dauerte schon ein paar Minuten, und Chris‘ Atmung beruhigte sich allmählich wieder. Sie sah die vielen Wacholdersträucher auf den mattgrünen Hängen oberhalb das Itzbachtals. Die Schafe dazwischen wirkten wie kleine Wattebäusche. Es war nicht so, daß Chris Angst vor dem Fliegen an sich hatte. Unbehagen bereitete ihr vielmehr das Gefühl, den Kontakt zur Erde zu verlieren. Sie mußte lächeln. Wie gut Jonas sich daran erinnert hatte.
    Jeder Transatlantikflug war für sie ein einziger Alptraum gewesen. Ihr Gefühl sagte ihr, daß sie hoch in der Luft fehl am Platze war, daß sie hinunter aufs feste Land gehörte, wo sie die Erde riechen und mit ihren Zehen streicheln konnte. Auch wenn die Vernunft ihr sagte, daß das alles Unsinn war - ihr Körper reagierte trotzdem mit heftigem Unwohlsein. In Kanada hatte sie es, soweit es irgend ging, vermieden, in ein Buschflugzeug zu steigen.
    Die anderen Biologen im Forschungsteam hatten sich deswegen lustig über Chris gemacht.
    Erst Silver Bear, der in seinem ganzen Leben noch nie in einem Flugzeug gesessen hatte, zeigte Verständnis. Für ihn waren all die Dinge, die sie so kramphaft vor anderen zu verbergen versuchte, völlig normal. Aber in seiner Kultur drohte ihm deswegen nicht die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik. Bei den Indianern galten Menschen wie er als vom Großen Geist für eine besondere Bestimmung ausersehen und waren hoch geachtet.
    „Wie ist es?“ hörte sie Jonas‘ Stimme über den Kopfhörer.
    Sie schaute ihn an, lächelte und sagte: „Geht so. Die Erde ist ja noch ziemlich nah.“
    Der Hubschrauber flog eine weite Rechtskurve und schwebte dann niedrig über der bewaldeten Flanke des Dachsberges dahin. Chris war sicher, daß der Mann von einem Wolf angefallen worden war. Aber Wölfe machten keine Jagd auf Menschen. Der Mensch war für sie einfach keine natürliche Jagdbeute. Nein, dieser Eindruck, den sie empfangen hatte, mußte eine Halluzination gewesen sein, keine Vision. Wie nannte man es, wenn Menschen Dinge zu sehen glaubten, die nicht wirklich existierten? Schizophrenie.
    Chris blickte zur kahlen Kuppe des Dachsberges. Dort oben bei den Hügelgräbern war sie panisch vor dem Etwas geflohen, das anscheinend in ihre Gedanken einzudringen versuchte. Vermutlich würde ein Psychiater das, was ich gegenwärtig erlebe, einen schizophrenen Schub nennen, überlegte sie und spürte, wie sie dabei ein Schaudern überlief.
    Als sie tief über dem Itzwald in Richtung Jünkersdorf flogen, sah Chris plötzlich durch die Lücken im Blätterdach eine Bewegung. Graubraun schimmerndes Fell, rascher, geschmeidiger Lauf. „Da unten sind Wölfe!“ rief Chris aufgeregt. Der Pilot ging tiefer. Es waren nur vier oder fünf. Sie blieben einen Moment stehen und blickten hoch zum Hubschrauber.

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