Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
auf unserem Kreisparteitag einen Vortrag über die Möglichkeiten der Gentechnik gehalten. Ich sage euch, das war wirklich aufregend! Der Mann ist keiner von diesen professionellen Schwarzsehern und Bedenkenträgern...“
„Gentechnik?“ fragte Jonas und zwinkerte Chris dabei zu. „Dann ist er also einer von diesen Typen, die uns mit viereckigen Tomaten und stapelbaren, bein- und flügellosen Brathähnchen beglücken wollen?“
Honadel machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach was, alberne Klischees! Das sind verantwortungsbewußte Forscher, die wissen, was sie tun. Gablenz ist ein international renommierter Wissenschaftler, und die Perspektiven, die er da bei seinem Vortrag aufgezeigt hat, waren beeindruckend. Gentechnik wird uns allen das Leben schöner und angenehmer machen. Diese ganze Biotechnologie ist ein enormer Wachstumsmarkt. Wenn wir Deutschen da nicht voll einsteigen, geraten wir gegenüber den Asiaten und Amerikanern hoffnungslos ins Hintertreffen. Aber bei uns wird ja immer alles Neue negativ beurteilt, statt daß man Optimismus verbreitet und den Leuten Mut macht! Man muß ihnen die Angst vor dem technischen Fortschritt nehmen. Es kann doch ein spannendes Abenteuer sein, die Welt mit Hilfe von Wissenschaft und Technik völlig neu zu gestalten, besonders für die jungen Leute!“
Honadel hatte sich richtig in Fahrt geredet, aber Chris brauchte keine technologischen Höhenflüge und kein Designer food, um glücklich zu sein, und sie vermutete, daß es nicht nur ihr so ging. Die Argumente von solchen Fortschrittspäpsten wie diesem Dr. Gablenz und den Politikern, die deren Sprüche in ihre Sonntagsreden aufnahmen, klangen schrecklich logisch und vernünftig, als handele es sich beim ständigen Wirtschaftswachstum und dem technischen Fortschritt um unabänderliche Naturgesetze. Diese Leute schienen immer eine Antwort zu wissen und überschütteten einen geradezu mit ihren klugen Sätzen. Aber es kam alles aus dem Kopf, Herz und Bauch verkümmerten völlig.
Unbehaglich mußte Chris daran denken, daß sie selbst auf dem besten Wege gewesen war, genauso zu werden, ein totaler Kopfmensch - die coole, distanzierte Superzoologin.
Ein gewaltiger Donnerschlag entlud sich, wie es schien, fast genau über Honadels Haus. Sabine flüchtete, eine Entschuldigung murmelnd, in die Küche.
Chris mußte daran denken, was Silver Bear über die pflegeleichte, leblose Plastikwelt gesagt hatte, die sich die Weißen offenbar wünschten, und sprach in die auf den Donner folgende Stille hinein: „Warum müssen wir denn die Welt überhaupt neu gestalten? Es gibt doch, so wie sie ist, so viel Schönes darauf! Können wir denn nicht damit zufrieden sein, nun ja, ich weiß, das klingt naiv und kitschig, einfach friedlich und harmonisch auf ihr zu leben? Ohne sie in eine Wüste aus Beton und Glas und Plastik zu verwandeln? Nehmt zum Beispiel die Autobahn, die hier in die Landschaft gebaut wird. Was ist denn dadurch wirklich gewonnen? Die Leute kommen vielleicht zehn Minuten, oder meinetwegen eine halbe Stunde, schneller von Euskirchen nach Trier oder Koblenz. Und? Was haben Sie davon?“ Sie sah, wie Jonas ihr zulächelte, während Honadel das Gesicht verzog.
„Na, das ist doch offensichtlich“, sagte Honadel. „Sie sparen Zeit, und in der freien Wirtschaft ist jede Minute gesparte Zeit bares Geld. Und an diesem Geld hängen Arbeitsplätze.“
„Aber was fangen die Leute an mit all der Zeit, die sie einsparen, und all dem Geld, das sie verdienen?“ fragte Chris. „ Genießen sie denn das Leben mehr? Ich meine, nehmen sie sich die Zeit, in einer Blumenwiese zu sitzen und den Schmetterlingen zuzuschauen? Ich weiß nicht, ich habe eher den Eindruck, daß sie nur noch vor dem Computer hocken und immer gehetzter werden und immer mehr unter Druck stehen, obwohl sie doch angeblich ständig so viel Zeit einsparen.“ Sie schüttelte nachdenklich den Kopf. „Irgendwie erscheint mir das ziemlich absurd.“
Eine Weile tranken sie schweigend, Honadel Bier, Jonas, der noch fahren mußte, Apfelsaftschorle, und Chris nippte an ihrem Weißwein. Das Gewittergrollen entfernte sich, das Rauschen des Regens wurde schwächer. Honadel kratzte sich am Kopf und sagte: „Ich hänge doch auch mit dem Herzen an der Landschaft hier. Ich bin schließlich genau wie ihr hier geboren. Dieser Autobahnbau ist schon ein harter Eingriff, das gebe ich ja zu. Aber als Politiker muß ich mit dem Verstand entscheiden. Ohne Sentimentalitäten. Ich kann
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