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Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe

Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe

Titel: Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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Wasserglas auf dem Tischchen und trank einen Schluck. Dann rieb er nachdenklich seine Nase. „Kann sein, daß du lernen mußt, deine Träume zu pflegen wie einen Garten, so wie ich hinter meinem Haus das Gärtnern lerne. Vielleicht sprießen dann mit der Zeit dort ganz überraschende und nützliche Dinge hervor.“
    „Die Erde ... leidet“, sagte Chris zögernd, beinahe widerstrebend. „Ich muß ... heilen. Ich glaube, es ist meine Bestimmung, Heilerin zu sein. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich das anstellen soll.“ Sie schüttelte verwirrt den Kopf.
    Jonas schaute sie an. Im schwachen Dämmerlicht sah sie die Konturen seines Gesichts, das sie immer noch blind hätte zeichnen können, trotz der vielen Jahre, die sie getrennt gewesen waren. „Du kannst nicht die ganze Erde heilen. Das wäre ein bißchen viel für einen einzelnen Menschen“, sagte er.
    „Ja. Aber ich glaube, ich weiß jetzt, warum ich hierher zurückkommen mußte.“ „Dann wirst du bleiben?“
    Sie seufzte: „ Vernünftig ist es nicht. Vernünftig wäre es, nach Kanada zurückzugehen und dort zu promovieren.“ „Komisch“, sagte Jonas langsam, „erst wollte ich dich nicht wiedersehen, und jetzt will ich nicht, daß du wieder fortgehst.“
    Chris fand, daß seine Stimme unsicher und hilflos klang. Für einen kurzen Moment wünschte sie, er möge sich zu ihr aufs Bett legen, damit sie sich wie früher aneinander schmiegen, sich vielleicht sogar lieben könnten. Doch sie schwieg, und Jonas blieb stumm und nachdenklich im Schaukelstuhl sitzen.
    Während es draußen allmählich hell wurde, versuchte Chris mit dem dumpfen Schmerz fertig zu werden, den der Traum in ihr ausgelöst hatte. Baggerschaufeln, die sich ins Fleisch des Landes gruben. Kreischende Motorsägen. Sie hatte sogar das Harz gerochen, das aus den gefällten Stämmen tropfte wie Blut.

    Josef hatte schlecht geträumt, einen eigenartigen Traum. Mit einem Ruck war er daraus erwacht und hatte dann verschwitzt im Bett gesessen. Lohmann hatte geschrien in dem Traum, grell, wie in Todesangst. Daß Lohmann schrie, war relativ normal, allerdings aus Wut, nicht aus Angst. Lohmann hatte ein eher cholerisches Temperament, und wenn er das Gefühl hatte, daß die Arbeiter nicht begriffen, was er von ihnen wollte - das kam ziemlich oft vor -, schrie er herum. Wenn Lohmann nicht auf der Baustelle war, schrie Krossner herum, der Vorarbeiter. Vermutlich schrien sie so viel, weil sie prinzipiell davon ausgingen, daß Raupenfahrer schwerhörig waren. Josef war aber nicht schwerhörig. Er trug auf der Raupe grundsätzlich Ohrenschützer.
    Josef ließ den Dieselmotor hochdrehen und schob schwere Baumwurzeln zu einem Haufen zusammen, von wo sie mit dem Bagger auf einen LKW geladen werden würden. Das war ein wirklich ungewöhnlicher Traum gewesen. Josef träumte nicht oft, und meistens hatte er seine Träume schon beim Frühstück wieder vergessen. Doch dieser war so lebhaft gewesen, daß ihm selbst jetzt noch der Anblick von Lohmanns angstverzerrtem Gesicht deutlich vor Augen stand und Lohmanns Schrei ihm noch in den Ohren zu klingen schien. So verstört war er gewesen, als er nach dem Traum senkrecht im Bett saß, daß er erst einmal ein Vaterunser gebetet hatte, um wieder zur Ruhe zu kommen. Lohmann tagsüber zu erleben, reichte Josef vollauf. Daß der Chef ihn nun bis in den Schlaf verfolgte, hatte ihm gerade noch gefehlt. Andererseits hatte es ihm aber eine diebische Freude bereitet, Lohmann so in Angst und Schrecken zu sehen. Wovor Lohmann sich so gefürchtet hatte, wußte Josef nicht mehr. Aber zweifellos würde einer der Arbeiter eines Tages, in voller Absicht, über Lohmanns Füße fahren oder ihm eine Baggerschaufel darauf stellen, und dann würde der Chef Grund zum Schreien haben.
    Josefs Blick ruhte einen Moment auf dem Bild der schwarzen Madonna von Tschenstochau, das in einem kleinen, silbernen Plastikrähmchen auf dem Armaturenkasten der Raupe haftete. In Gedanken bat er die Madonna um Entschuldigung dafür, daß er seinem Chef etwas so Schlimmes wünschte. Menschen wie Lohmann, aber auch wie Krossner, machten es einem mitunter schwer, ein guter Katholik zu sein.
    Er drehte sich auf dem Sitz um und ließ die Raupe rückwärts laufen. Dann schaute er wieder nach vorn, um die Raupe ein Stück zu wenden und die nächsten Baumstümpfe zu schieben. Doch der Diesel tuckerte einen Moment im Leerlauf. Josef war seitlich am Waldrand etwas aufgefallen, etwas, das dort nicht hingehörte.

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